Wenn Triathletinnen fremdgehen

Frauenpower beim Radfahren über die Alpen

Die beiden Triathletinnen Lulu und Katja Viehweg berichten von ihrem Abenteuer, dem einwöchigen Radmarathon „Tour Transalp“.

“Let me entertain you” von Robbie Williams dröhnt aus den Lautsprechern, ich stehe mit meinem Rennrad eingeengt, umringt von hunderten Radfahrern im Startblock B. In zehn Sekunden startet die Tour Transalp 2016, die das zweitanspruchsvollste Profil haben soll, seit es das Rennen gibt.
Katja steht ganz eng neben mir und schaut mich mit großen Augen an. Sie ist genauso aufgeregt wie ich. In dieser Sekunde frage ich mich, ob wir als Triathletinnen hier nicht fehl am Platz sind. Wir können doch alles angeblich „nur“ ein bisschen. Wir sind in keiner Disziplin Spezialistinnen – auch nicht auf dem Rad. Die Kerle um uns herum sehen alle so aus, als hätten sie schon zig Mal die Tour de France gewonnen, das macht uns zunächst irgendwie etwas unentspannt.

Auf der Suche nach einem neuen Extrem
Im vergangenen Herbst kam mir in den Sinn, dass es an der Zeit für eine neue sportliche Herausforderung wäre. Nachdem ich alle Triathlondistanzen vom Sprint bis zum Ironman erlebt habe, wollte ich gerne etwas Neues ausprobieren.
Die Tour Transalp stand schon seit längerer Zeit auf meiner “To-Do-Liste”. Das Rennen geht über sieben Tage und ist berühmt-berüchtigt für anspruchsvolle Passüberquerungen und viele Höhenmeter. Also genau das, was ich suchte. In diesem Jahr führt die Strecke von Imst in Österreich im Zick-Zack-Kurs über die Dolomiten bis zum Gardasee in Iralien. 900 Kilometer mit knapp 20.000 Höhenmetern. Nicht gerade eine Kaffefahrt.
Das besondere an diesem Rennen ist außerdem, dass man die Strecke nicht allein bestreitet, sondern immer im Zweier-Team.

Imressionen von der Tour:

Wichtiger als die strammsten Waden –
die perfekte Teampartnerin
Nach kurzer Überlegung kam mir genau eine einzige Person in den Sinn, die fit und verrückt genug für diese Abenteuer wäre: Katja! Wir starteten jahrelang in “konkurrierenden” Teams in der Triathlon- Landesliga in Baden-Württemberg. Es war Freundschaft auf den ersten Blick. Ein Telefonat und unser Team standfest. Allerdings unter der Voraussetzung, dass wir nicht im Matrazenlager nächtigen würden. Daher preferierten wir die Hotelvariante, denn auf eine erholsame Nachtruhe und eine gemütliche Dusche für uns alleine, wollten wir nicht verzichten.

Warum tun wir uns das an?!
Katja, meine Teammate ist in Sachen Sport gestrickt wie ich: sie hat alle Triathlondistanzen erlebt und ist immer offen für Neues. Katja und ich teilen die Faszination für Ausdauersport, für körperliche Anstrengung, für neue unbekannte Herausforderungen. Die Schönheit der Landschaft und insbesondere gemeinsam diese Challenge als Team zu bestreiten, waren Anreiz genug für uns beide, dieses Abenteuer anzugehen.

Die Geburtsstunde des “Team Liv powerd by D-Cycles”
Durch einen Zufall kam es dazu, dass uns das Radgeschäft D-Cycles in Forst in Kooperation mit Liv, der Frauenmarke von Giant, bei unserem Vorhaben mit frauenspezifischem Material unterstützt. Wir bekamen beide das gleiche Rad zur Verfügung, dessen Geometrie an die weiblichen Bedürfnisse angepasst ist. Die Voraussetzungen stimmten also schon mal. Das Training konnte beginnen. Neben den alltäglichen Widrigkeiten ist es für jeden berufstätigen Athleten schwierig, eine effektive Vorbereitung hin zu bekommen. Da wir beide Schichtdienst ableisten dürfen, war es oft nicht einfach. Hinzu kam auch noch ein verregnetes Frühjahr und prompt fühlt man sich, als wäre man zu schlecht vorbereitet. Wir Frauen sind ja eh die Besten, wenn es um das Thema Understatement geht.

Let the games begin
Nun standen wir also bei 15 Grad und Regenvorhersage für die ersten Berge an der Startlinie mit knapp 1.000 anderen Rennradfahrern (davon 85 Damen), Wir hatten die ausgeklügelte Renntaktik, am ersten Tag ruhig anzufangen, um uns einen Überblick zu verschaffen. Wir wollten auf keinen Fall überpacen, da uns noch genug Möglichkeiten in den folgenden Tagen zur Verfügung stehen sollten, um Laktatschlachten gegen den Körper zu führen.
Da ich am ersten Tag mit reichlich Schlafmangel wegen einer langen Nachtschicht startete, war es für mich erstmal sehr zäh. Müdigkeit ist mindestens so schlimm wie Hunger. Katja erkannte sofort, dass ich Gefahr lief, mir unnötig negative Szenarien einzureden. Nach müde kommt bekanntlich doof. Sie schickte mich nach der Etappe sofort in den Mittagsschlaf, damit ich meine Batterien aufladen konnte. Und kümmerte sich wie Mutter Theresa an diesem Tag um alles Organisatorische.
Von Etappe zu Etappe hatte ich das Gefühl stärker zu werden. Es war fast schon unheimlich, wie fit ich mich plötzlich fühlte und wie schnell ich bis zum nächsten Startschuss regenerierte und wieder frisch war. Jahrelanges Training mit Verstand zahlt sich bei mir exakt bei der Transalp aus.

Und täglich grüßt das Murmeltier
Schnell waren Katja und ich eingespielt und hatten unsere morgendlichen Abläufe perfektioniert. 6:30 Uhr klingelt der Wecker, aufstehen, Zähne putzen, Radklamotten anziehen, Gepäck an der Rezeption für den Weitertransport abgeben, Frühstück, Radcheck und Streckenprofilaufkleber auf den Rahmen befestigen, noch mal ins Bett liegen, etwas Gymnastik, zweites Frühstück und ganz wichtig: Toilettengang. Danach kommt die Creme für den Po und ab geht die Post!

Wichtiges Utensil die Popocreme
Da Katja und ich noch keine Erfahrung mit mehrtägigen Radrennen gemacht hatten, wollten wir alles richtig machen, um uns so wenige Blessuren wie möglich einzufangen. Jede Frau, vielleicht auch jeder Mann, der vom Radfahren schon einmal im Intimbereich wund gescheuert war, weiß, wie schmerzhaft es ist. Und wenn es soweit ist, kann man kaum mehr auf dem Sattel sitzen. Mit unseren Liv Sätteln, die auf die jeweiligen Sitzknochenabstände abgestimmt sind, und den super Polstern der Radhosen waren wir bestens ausgestattet. Zusätzlich benutzten wir täglich die besagte Popocreme. Zu Beginn von allen belächelt, wurde sie nach und nach wie Gold unter den Tourteilnehmern gehandelt.

Kreuz und quer durch die Dolomiten bis zum Gardasee
Bei jeder Etappe dachten wir, “das muss die schönste gewesen sein”. Aber jeden einzelnen Tag wurden wir noch mal eines besseren belehrt. Die Natur ist während der gesamten Tour atemberaubend, eindrucksvoll und abwechslungsreich. Auf den Pässen hat man meilenweiten Ausblick. Als wir in einer Gruppe auf einem flachen Anstieg Tempo machten, erhaschten wir zum ersten Mal einen Blick auf die Drei Zinnen, ein markanter Gebirgsstock in den Sextner Dolomiten. Alle jubelten auf und waren total aus dem Häuschen vom Anblick dieser imposanten Felsformation. Ein Gänsehautmoment!
Meine persönlichen landschaftlichen Highlights waren der Passo Giau und die bekannte Sella Ronda, bei der auch die rasante Abfahrt über beachtliche Serpentinen mein Herz schneller schlagen lies. Das fühlte sich wie fliegen an …

Überwältigt vom Zusammengehörigkeitsgefühl
Wirklich positiv überrascht waren wir von dem schnell enorm ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühl mit den anderen Rennradfahrern. Von der Startlinie an lernten wir liebenswerte Menschen kennen. Man ist nie alleine. Gegenseitige Hilfe war immer selbstverständlich. Man lacht und leidet gemeinsam und lernt sich in einer Woche richtig gut kennen. Das war definitiv anders als beim Triathlon.
Auch die gesamte Crew des Veranstalters – vom Daypack-Verlader, über die Iso-Ausschenker, die süßen Kameramänner (und Frauen) – alle samt sehr herzlich bei Wind, Wetter, Hitze. Einfach immer!

Monte Tomba zieht dem starken Geschlecht den Zahn
Etappe 5 ist 130 Kilometer lang. Nach knapp 110 km, man denkt, man ist so gut wie im Ziel, schlägt Tomba, der Erbarmungslose, zu! Eine fiese Steigung über 18 Prozent auf über a Kilometern. Der Garmin schaltet auf “Auto-Stop” weil er denkt, dass wir stehen, obwohl wir uns nur unfassbar langsam den letzten Berg hoch quälen. Doch Katja und ich haben uns auch an diesem Tag die Kräfte gut eingeteilt, kommen richtig auf Hochtouren und ziehen an einigen Männern vorbei. Dabei kam es zu dieser grandiosen Konversation zwischen einem Fahrer, den wir gerade überholen, und uns. Er: “Hey Mädels, nicht schlecht. Habt ihr ne 34er Übersetzung drauf?!” Wir “Nö, 28 – und du so?!” Der Typ etwas zerknirscht: “32, wünsche mir aber 34….”. Wieder Stille. Katja und ich grinsen uns über beide Backen an und können uns ein Lachen nicht verkneifen.

Dolce Vita-Genuss pur
In den hübschen Ortschaften der Etappenziele, richteten die jeweiligen Gemeinden für die Tour-Teilnehmer “Pasta-Partys” aus. Jeden Tag gab es andere Leckereien. Allerdings brauchten Katja und ich so viele Kalorien, dass wir uns zum Nachtisch noch eine Pizza teilten oder Eis essen gingen. Auch auf ein “Feierabendbierchen” oder einen feinen Vino tinto verzichten wir nicht. Schließlich sollte die ganze Veranstaltung auch Urlaub sein!

Abschuss auf der letzten Etappe am Kaiserjägerweg
Bis zum letzten Tag hatten wir uns unsere Kräfte optimal eingeteilt. Selbst die Königsetappe vorletzten Renntag hatten wir mit Bravour gemeistert. Aber ich brachte es trotzdem fertig, mich am letzten Tag noch ins Nirvana zu schießen.
Der Kaiserjägerweg hört sich sehr idyllisch und schön an, was beides absolut zutrifft. Aber er ist auch giftig mit all der Vorbelastung in der Muskulatur! Jeder musste seinen Rhythmus finden und hochtreten. Es war das erste Mal während der gesamten Tour, dass meine Oberschenkel kurz vorm explodieren waren. Danach dann die Abfahrt. Aber keine entspannende: Es begann in Strömen zu Regnen. Nicht nur Wassertropfen, es war eher als würde jemand Eimer über uns ausleeren. Das bescherte mir am letzten Tag noch ein kleines Tief. Beine kurz vor der Kernschmelze plus Nässe und Kälte. Das zog mir kurzfristig den Stecker.
Katja holte mich allerdings sehr schnell mit den richtigen Worten wieder zurück zur guten Laune und Motivation. Ich nahm ein paar mehr Kalorien zu mir und die Welt war wieder in Ordnung. Nach der Abfahrt war die Regenwolke im wahrsten Sinne über uns verzogen und es war wieder heiß und sonnig und wir brachten das Ding ins Ziel!

Grand Final in Riva
Die Zeitmessung war direkt nach einer Serpentine, mitten am Berg mit Sicht auf den Gardasee. Als ich das Schild sah, hätte ich vor Freude weinen können. Der Zielbogen war weitere zehn Kilometer später in Riva direkt am See. Aber aufgrund der gefährlichen Abfahrt und dem Stadtverkehr in Riva, wollten die Veranstalter, dass wir die restlichen Kilometer ganz gemütlich “heim” rollten.
“Piep-Piep” – das Geräusch wenn man über die Zeitmessmatte fährt. Zehn Meter später halten wir an und liegen uns glücklich in den Armen. Müssen beide eine kleine Träne verdrücken. Typisch Mädels – so emotional alles …
GESCHAFFT, wir haben es ZUSAMMEN GESCHAFFT!
Und die Freude teilen wir nicht nur zu zweit, sondern mit allen unseren Tourmitstreitern, die wir über die Woche kennengelernt haben. Alle klatschen ab, umarmen und knutschen sich! Ein außergewöhnlicher Moment.

Fazit: Wir sind überglücklich, dass wir uns zur Teilnahme an der Tour Transalp entschieden haben! Die Exkursion in die Radsportwelt hat uns voll und ganz zugesagt und es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein. Die Organisation war absolut genial. Das Zusammengehörigkeitsgefühl überwältigend. Landschaft und Natur abwechslungsreich und sagenhaft. Die Anstrengung hoch, aber machbar! Für Katja und mich war es ein absolutes Highlight. Ich würde die Tour Transalp als eine der schönsten sportlichen Events, die ich bisher erlebt habe, beschreiben!
Und wieder zuhause angekommen, merke ich am ersten Tag, wie sehr mir Katja fehlt, die anderen neuen Bekanntschaften aus dem Teilnehmerfeld und – wer hätte das gedacht – das Radfahren …

Text: Lulu
Fotos: privat