Pleiten, Pech und Pannen … und wie sich Alexandra trotzdem ganz lange und weit durchgekämpft hat. Das große Finale von Alexandras Geschichte “Meine 1. Langdistanz”.
Einen Teil der Serie verpasst, dann einfach noch mal nachlesen: Teil 1,Teil 2,Teil 3, Teil 4.
Schwimmen mit Gartenrechen
Die Erfahrung „Barfuß auf dem Dixi-Klo“ hätte ich mir gerne erspart. Es gibt ein Buch mit diesem Titel und mich hat es beim Lesen der Überschrift schon geschüttelt. Nun stand ich selbst am Schwimmstart in der Schlange zur besagten Plastik-Toilette – und zwar barfuß. Igitt.
Dann ins Wasser mit 250 weiteren Damen in Startgruppe 6. Als ich eintauchte, bekam ich sofort einen Krampf im Rückenmuskel. Mir war kalt. Die Annahme, dass die Frauen einen Vorteil haben, wenn sie vor den nachfolgenden zig weiteren Herrengruppen starten, ist möglicherweise nicht ganz korrekt. Aber ich kann ja nicht sagen, wie es anders gewesen wäre. Ich kann jedenfalls folgendes erzählen: auch beim Damenstart gibt es ein unwahrscheinliches Gekämpfe und Gehaue. Die netten Damen von gerade eben wurden in der horizontalen Lage zu kämpferischen Schwimmerinnen. Von links gab‘s einen Ellenbogen direkt aufs Auge, von rechts Tritte in die Rippen (da war jemand beim Brustschwimmen). Nach gefühlten zehn Minuten kehrte Ruhe ein, ich hatte Platz, nur eine Schwimmerin schwamm unverdrossen – bis zum Schluss – in Zickzacklinien vor mir her. Ab und zu trafen wir uns auch körperlich. Aber noch besser waren die Startgruppen hinter mir. Die Herren schwammen in regelmäßigen Abständen – entsprechend ihrer Startzeit – über mich drüber, knapp an mir vorbei, zogen an den Beinen oder schlugen mir die Schwimmbrille fast vom Kopf, die ich gerade noch retten konnte. Ich konnte mir vorstellen, dass die roten Badekappen der Damen wie die roten Tücher beim Stierkampf auf die männlichen Schwimmer wirkten. Vielleicht sollten die Damen besser eine Haube mit beruhigender Farbe bekommen? Oder es sollten Pfeile nach rechts und links darauf gedruckt werden? „Bitte vorbeischwimmen, nicht drüber! Danke!“.
Nach gut zwei Kilometern drang die Kälte langsam durch, so dass ich an beiden Beinen abwechselnd einen Wadenkrampf bekam. Das war nicht schlimm, das hatte ich ja schon bei meinem Training erlebt und wusste damit umzugehen. Neu dagegen war die komische Form meiner Hände: die kleinen Finger waren nicht an ihrem Platz, sondern standen ab wie verkrampfte kleine Fußzehen. Dass man in kalten Händen keine Kraft hat, weiß jeder vom Wintersport. Einen Reißverschluss zu öffnen, wird zur Lebensaufgabe. Meine kleinen Finger wollten sich nicht anlegen und auch die anderen Finger wurden zunehmend kraftlos und bildeten eher so etwas wie einen breiten Gartenrechen. Wasser fühlen, geschweige denn greifen, war kaum möglich. Nur gut, dass das Schwimmen am Schnellsten von allen drei Disziplinen vorbei geht. Das Wasser habe ich trotz allem nur eine Minute über meiner anvisierten Zeit von 1:45:00 h verlassen. Die erste Freude des Tages.
Kette rechts
Warum war ich eigentlich geschwommen, wenn mein Rad doch sehr wahrscheinlich kaputt war? Hier eine mögliche Antwort: eine spontane Selbstheilung könnte eingetreten sein, denn die Schaltung hatte auch spontan einen Defekt. Jeder kennt die komische Situation am Computer, wenn ein Programm nicht mehr funktioniert und kaum holt man Hilfe herbei, tut der Rechner so, als wäre nichts gewesen. Heute ist DER Tag des Jahres und die Schaltung zickt jetzt einfach, will ein bisschen Aufmerksamkeit und wenn ich zurück bin, ist alles in bester Ordnung. Als Wirtschaftsingenieurin ist mir schon klar, dass die letzten Sätze sich sehr weltfremd – vor allem für Leute, die nur an Fakten glauben – anhören. Für mich war es der Strohhalm, der mich 3,8 km durch die eiskalte Waschmaschine brachte – und das auch noch in meiner Zeit.
Raus aus dem Wasser, Radbeutel schnappen (die Reihe war schon sehr übersichtlich geworden), rein ins Zelt. Eine liebe Dame half mir beim Umziehen, ich habe nur noch mit den Zähnen geklappert. Betend bin ich zum Rad gerannt. Helm auf, Uhr anschalten und loslaufen. Über die Matte, es hat gepiepst, aufsitzen, die Brücke hoch. Oben auf der Brücke wurde es immer flacher und gleich ging es wieder runter. Also schalten. Schalten? Schalten!!! Meine Beine flogen. Vorne auf dem kleinen Kettenblatt, hinten auf dem dritten Ritzel von oben. Der Super Gau war eingetroffen: schalten Fehlanzeige. Kurz rollen lassen, rechts ran, absteigen. Akku rausziehen, Akku wieder reinstecken. Kein grünes Licht. War nun der Akku leer oder lag es an etwas anderem? Diese Frage konnte ich mir nicht beantworten und klar war mir auch, dass ich auf dem kleinen Kettenblatt nicht weit kommen könnte. Auf jeden Fall nicht in maximal sieben Stunden 180 Kilometer und 1200 Höhenmeter. Ich hatte in diesem Moment keine andere Chance, als zu dem Mechaniker-Zelt zurückzukehren. Ich habe mich dorthin durchgekämpft und stand vor dem gleichen Mechaniker wie zweieinhalb Stunden zuvor. Ob er einen Ersatz-Akku da hätte, fragte ich. Nein, meinte er. Und auch sonst keine Ersatzteile für elektronische Schaltungen. Aber letztes Jahr wäre einer Teilnehmerin sogar ein Akku geklaut worden. Die hatte dann auch ein Problem. Da hatte er Recht.
Das einzig Sinnvolle, das ihm noch einfiel war, dass im Staffelbereich bestimmt jemand eine elektronische Schaltung haben könnte, um wenigstens einen anderen Gang einstellen zu können. Ich sollte mir schon mal überlegen, mit welchem Gang ich alles gut fahren könnte, während er mein Rad schnappte und zur anderen Wechselzone rüber rannte. Ich hinterher. Wir riefen um Hilfe, wer uns kurz einen Akku leiht „nur zum Schalten“. Ein Teilnehmer erklärte sich bereit, gab uns seinen. Der arme Mann zitterte kurz um seinen Akku und meine Schaltung tat keinen Mucks. Also waren es die Kabel? Wieder zurück zum Mechaniker Zelt, Rad auf den Montageständer, Kabel geprüft. Ein weiterer Staffelteilnehmer hat uns begleitet, denn er hatte vor ein paar Tagen das gleiche Problem mit seiner Schaltung. Es fand sich ein Knick im Kabel, das eventuell den Defekt verursacht haben könnte. Aber sicher war das keineswegs. Mit ein paar Handgriffen wurde das Kabel repariert, Stecker wieder rein. Immer noch nichts. Möglicherweise war der Akku nun doch entladen? Jetzt gab es nur noch eins: die Kette vom kleinen aufs große Kettenblatt von Hand heben und dann mit diesem Gang fahren. Hinten immer noch auf dem dritten Ritzel von oben.
Single Speed Technik
Es waren 45 Minuten vergangen, seitdem ich die Radzeit gestartet hatte. Ich sollte also langsam los, denn ich hatte mir ausgerechnet, dass ich mit einem Schnitt von 26 km/h in sieben Stunden 180 Kilometer fahren kann. Das sollte für mich gut zu schaffen sein. Jetzt hatte ich noch 6:15 h Zeit mit defektem Rad. Wie sollte das denn gehen? Keine Ahnung, ich bin einfach gestartet. Das Rennen konnte doch hier noch nicht aufhören. Das war doch mein Tag.
Was dann so in mir vorging, ist schon ein bisschen verrückt. Aber ich habe mich mit dem Rad arrangiert. Ich wollte so weit fahren, wie es ging. Und es waren zwei Runden, so dass ich mir die Strecke zumindest mal anschauen konnte. Ich habe eine Technik gefunden, mit der ich vorankam. Immer die Geschwindigkeitsanzeige im Blick. Bis 35 km/h konnte ich noch treten auf flacher oder abschüssiger Strecke. Schneller konnte ich die Beine nicht bewegen, ohne vom Rad zu fliegen. Ich musste den Lenker ordentlich festhalten, der hat gewackelt wie ein Kuhschwanz. Es war genau wie bei den Sprints in der Spinning Stunde, nur dass der Lenker dort fest montiert ist und die Sprints viel kürzer sind. Wollte ich nicht an Geschwindigkeit verlieren, musste ich treten. Schwung holen konnte ich ohne größeren Gang nicht. Besonders bei der hügeligen Strecke in Roth verliert man Zeit, denn ich musste es ab 35 km/h rollen lassen und bergauf warten, bis ich runter auf 33 km/h war, um erneut treten zu können. Kette und Schaltung ratterten schrecklich und ein bisschen hörte sich das wie die aufblasbaren Klatschstangen an, wenn man sie wie wild aneinanderschlägt.
Unvorstellbar, aber wahr, ich habe Radfahrer überholt. Dumm war nur, wenn jemand vor mir 34 km/h fuhr und ich nicht schneller als bis 35 treten konnte. Da kam ich nie schnell genug vorbei. Oder auch nervig: ich wurde überholt und die Leute scherten vor mir ein und fuhren trotzdem nicht schneller. Am liebsten hätte ich gerufen, dass sie sich doch mal beeilen sollten. Im Normalfall hätte ich einfach überholt, konnte ich aber nicht. Und mich zurückfallen lassen zu müssen, war richtig gemein. Mein liebevoll gestaltetes Kärtchen mit den geplanten Durchschnittszeiten (inklusive Smiley) sah ich mir nicht einmal an. Ich musste meine Taktik ändern und meinen Krafteinsatz der Landschaft anpassen.
Wiegetritt am Berg
Bei längeren und steileren Bergauf-Abschnitten musste ich fast alles im Wiegetritt fahren. Mit vollem Körpergewicht und mit aller Kraft am Lenker ziehen. Vor allem Greding hat mich unendlich viel Körner gekostet. Ich dachte, das hört gar nicht mehr auf. Dagegen war der Solarer Berg fast einfach. Ich musste nur hoffen, dass die Radler vor mir nicht so langsam wurden, dass ich meine Kurbel nicht mehr durchdrücken konnte. Ich hätte anhalten und schieben müssen. Eine furchtbare Vorstellung, den Solarer Berg hochzuschieben! Oben angekommen, habe ich sogar noch meine Freunde vom TriTeam gesehen, die sich die Lunge aus dem Hals gerufen haben, um mich anzufeuern. Einfach stark, ein tolles Gefühl, den Beistand und die Freude von außen zu spüren.
Ganz gut funktioniert hat die Versorgung an den flachen Abschnitten, da konnte ich eine Hand vom Lenker nehmen und die Flaschen greifen. Viele Versorgungsstellen waren jedoch an einer Steigung, so dass ich keine Chance hatte, eine Hand frei zu bekommen, ohne schnell an Geschwindigkeit zu verlieren, wodurch ich hätte anhalten müssen. Normalerweise ist das ja gut geplant, weil beim Bergauffahren sowieso jeder langsamer macht. Für mich war genau das ungeschickt. Trinken klappte prima dank meiner neuen Lenkerflasche, nur zum Essen hatte ich nicht viel Gelegenheit, weil ich dafür auch längere Zeit eine freie Hand gebraucht hätte. Gefreut habe ich mich über die Abfahrten, wenn ich so schnell war, dass ich auch mit allen 20 Gängen nicht mehr hätte treten können. Leider gab es davon nicht so viele.
Mein Mann und zwei TriTeam Kollegen haben mich während der ersten Runde überholt und wir haben uns kurz unterhalten. Und alle waren sehr erstaunt, was ich hier mit dem Rad anstelle. Andy war sichtlich erschüttert, musste dann aber weiter. Wir konnten hier unterwegs nichts ändern. Aber seine Sorgen um mich hielten bis zum Schluss an.
Reicht mir die Zeit?
Als ich die erste Runde hinter mir hatte, wusste ich, was vor mir lag und bin einfach weitergefahren. Ich hatte auch Zeit, mir die Landschaft oder andere Athleten mit Zeitrad und Zeitfahrhelm anzuschauen, die ich in Spinning-Manier überholt habe. Ich habe mir überlegt, was die sich wohl so denken, wenn ich an denen vorbeifahre oder die an mir. „Kann die nicht schalten?“ oder „Das ist doch keine Indoorcycling-Stunde hier“. Ich habe dann in mich hineingeschmunzelt und gedacht, wenn ihr wüsstet, was mit meinem Rad los ist. Dann würdet ihr staunen. So kam mir der Gedanke, ob überhaupt schon mal jemand mit nur einem Gang hier gestartet ist. Also nicht erst unterwegs einen Defekt hatte, sondern mit dem Wissen, dass jetzt 180 km mit einem Gang kommen?
Erst gegen Ende der zweiten Runde, als mein Zeitlimit langsam ablief, begann ich wieder zu rechnen und an dem Sinn meiner Aktion etwas zu zweifeln. Denn wenn ich nicht mehr auf die Laufstrecke durfte, dann bräuchte ich mich doch nicht mehr anstrengen. Mal schien die Zeit zu reichen, dann wurde es wieder knapp und ich hätte so schnell wie ein Auto fahren müssen. Dann kam mir der Gedanke, dass ich mich verrechnet haben und mein Zeitlimit ein anderes sein könnte. Wie ärgerlich wäre es, bis zu Wechselzone zu trödeln, um zu erfahren, dass ich vor wenigen Minuten doch noch weitergekommen wäre. Ich dachte nur noch, wie toll es wäre einfach nur zu laufen. Keine Technik. Ich gab also alles bis zur Wechselzone.
Nur ich und meine Beine
Dass es dieses Kapitel überhaupt gibt, ist ein Wunder. Denn damit hatte ich fast nicht mehr gerechnet. Ein Helfer nahm mein Rad und ich fragte sofort: „Darf ich weiter?“. Er warf einen Blick auf meine Startnummer und sagte: „Ja, klar!“. Ich glaube, ich habe laut Juhu geschrien und am liebsten hätte ich alle geküsst. Ich war so unglaublich stolz und froh und sah mein Zielfoto in greifbare Nähe rücken. Nach meiner Rechnung hatte ich mein Limit um 18 Minuten überschritten. Ich habe nicht verstanden, warum ich weiter durfte, aber für langes Fragen, hatte ich keine Zeit. Ich sollte nach meiner ursprünglichen Rechnung den Marathon in maximal 5 Stunden 45 Minuten laufen. Nach dem Wechsel, bei dem mir wieder eine supernette Helferin zur Seite stand, hatte ich noch 5 Stunden 15 Zeit. Ob ich das schaffen konnte?
Einfach laufen
Ein kurzer Besuch in der blauen Kabine, dann auf die Laufstrecke, etwas zum Trinken und Reiskuchen geschnappt. Endlich laufen. Ich kann gar nicht sagen, wie toll das war. Ich bin absolut keine schnelle Läuferin, so dass ich mir eine Geschwindigkeit von 7:30 bis 8:10 Minuten pro Kilometer als mögliche Geschwindigkeit für den Marathon ausgerechnet hatte. Würde ich schneller als 7:30 laufen, würde mir vorzeitig die Kraft ausgehen. Mir war dann schnell klar, dass ich es nicht in insgesamt 15 Stunden schaffen konnte, aber das war mir dann nicht mehr so wichtig. Nach dem Desaster auf dem Rad, wollte ich doch wenigstens noch ins Ziel einlaufen. Schlimmstenfalls ohne offizielles Zielfoto und Wertung. Aber ins Stadion wollte ich so gerne.
Ich war bester Laune, hatte einen guten, gleichmäßigen Rhythmus gefunden, lief gerade und ordentlich mit angewinkelten Armen. Nur nicht schlenkern, das kostet Kraft! Die Füße vorwärts bewegen, nicht zu hoch, Energie sparen! Damit hielt ich lange durch. An jeder Versorgungstelle blieb ich stehen, trank Wasser und Iso, aß gelegentlich Reiskuchen. Gegen später nahm ich auch Melone mit Salz und Brühe. Salztabletten hatte ich dabei, auch beim Radeln hatte ich zwei genommen. Beim Laufen war es einfacher, die dicken Kapseln in aufrechter Haltung zu schlucken. Meine mittlerweile nervöse Verdauung zwang mich mehrmals ins Dixi-Klo, wieder Zeit verloren. Ich zählte die Kilometer rückwärts und dachte immer „juhu, es sind nur noch 30 km, nur noch 25 km, nur noch…“.
Kurz vor dem Halbmarathon traf ich meinen Mann und meine Freunde auf der Strecke. Ich habe mich so sehr gefreut, wieder bekannte Gesichter zu sehen. Dass jetzt nochmal so viele zu mir auf die Laufstrecke kommen, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich habe alle beim Feiern im Ziel vermutet und wollte nur noch dort hin. Ich musste mich zurückhalten, nicht meine ganze Geschichte zu erzählen und Kraft zu verbrauchen. Vor allem Andy war unheimlich stolz und so erleichtert, dass ich gut und locker laufe, und dass ich überhaupt auf der Laufstrecke war und noch lachen und erzählen konnte. Ich war auf jeden Fall wieder unheimlich beflügelt.
In einem der Stimmungsnester hörte ich die Durchsage, dass Jan Frodeno am heutigen Tag den Weltrekord in der Langdistanz mit 7:35:39 Stunden geschafft hatte. Er war schon seit gut sechs Stunden im Ziel!
Aufgeben schmeckt bitter
Ab Kilometer 25 zog sich die Strecke dann bis zum Wendepunkt, dennoch fühlte ich mich bis km 31 ganz gut. Nicht mehr frisch, aber gut. Mein Mann hatte die Sprecher der Stimmungsnester über meine „Ein-Gang-Performance“ informiert und die haben dann alles laut durchgesagt. Die Leute haben gejubelt und geklatscht, als ich vorbeilief.
Dann ging mir langsam die Energie aus. Mit km 32 kam eine leichte Übelkeit, das Trinken wollte nicht mehr richtig runter. Mehr schlecht als recht schleppte ich mich noch bis Kilometer 34. In gebührendem Abstand hat Andy mich nicht mehr aus den Augen gelassen. Er kennt mich am besten und hat gesehen, dass ich zunehmend kraftloser wurde. Er riet mir zu Gehpausen. Zu diesem Zeitpunkt war ich ja nicht wirklich schneller beim Joggen. Irgendwann blieb ich dann doch stehen, um mich auszuruhen. Aber leider kam ich dann nicht mehr ins Laufen. Mein Kreislauf wollte nicht mehr richtig mitmachen und mir war kalt. Gegen Schmerzen hätte ich vielleicht noch ankämpfen können, aber die Kreislaufprobleme konnte ich nicht verdrängen. Es war bereits 21:30 Uhr und ich hatte noch zwischen sieben oder knapp acht Kilometer vor mir. Den Zielschluss um 22:00 Uhr hätte ich sowieso schon überschritten. Gut, dass Andy da war, denn selbst war ich fast nicht mehr in der Lage, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Es ist bitter aufzuhören, wenn man so weit gekommen ist. Er verstand mich, aber sagte, dass ich mit diesem Rad und dem anschließendem Lauf überhaupt so weit gekommen wäre, sei eine wahnsinnige Leistung und auf die letzten Kilometer komme es jetzt nicht mehr an. Gesundheit gehe vor. Und das war die richtige Entscheidung.
Gesundheit geht vor
Dank der netten Helfer von der Wasserwacht und dem roten Kreuz kam ich noch in den Genuss einer Bootsfahrt und wurde mit leichter Unterkühlung bis zum großen Festzelt im Zielbereich gebracht. Ich habe mich dort erholen können, aber von der tollen Party und dem Feuerwerk habe ich leider nichts mitbekommen. Mein Mann übrigens auch nicht, denn er war nach seiner Ankunft im Ziel nach grandiosen 9:48:22 Stunden zu mir auf die Laufstrecke geradelt. Andy hatte unsere Freunde informiert, so dass ich im Zelt abgeholt und mit dem Auto zum Campingplatz gefahren wurde. Er hatte in der Zwischenzeit alle unsere Beutel und die Räder eingesammelt.
Kein Zielfoto, dafür eine Geschichte
Andy und unsere Freunde erwarteten mich schon bei Wohnmobil und alle wussten über meine (Leidens-) Geschichte Bescheid. Einstimmig bekam ich höchste Anerkennung für meine Leistung. Die Teamkollegen meinten, dass sie keinesfalls mit dem defekten Rad an den Start gegangen wären. Aber mir ist klar, dass es etwas anderes ist, wenn man eine gute Zeit machen möchte. Und ich hatte den „Vorteil“, nur ankommen zu wollen. Dennoch tat das Lob richtig gut, denn auf das ersehnte Zielfoto musste ich verzichten. Ich bekam sogar noch Geschenke! Von meinem Schatz eine wunderschöne Kette und von Freunden, einen Korb mit guten Sachen zum Regenerieren. Gefreut habe ich mich sehr über die lieben Nachrichten und Anrufe, die nach und nach bei mir eintrafen. Das Lob reichte von „Du bist ein Tier“ und „Du bist der Hammer“ über „Ironlady“ und „Superwoman“ bis hin zu „Heldin des Tages“ und „Wir sind stolz auf Dich“.
Die erste Langdistanz konnte ich nicht finishen, dafür nehme ich eine Geschichte mit, die länger dauert als „Ja, ich habe es in 15 Stunden geschafft.“
Der Tag danach
Am Montagmorgen noch vor dem Aufstehen, sagte ich zu Andy: „Ich melde mich zu einer Langdistanz an, noch in diesem Jahr.“ Das ist zwar mehr als unwahrscheinlich, zeigt aber, wie gerne ich gefinisht hätte. Wehmut verspürte ich dann beim Gang über das Messegelände und bei der Siegerehrung, wo viele ihre Finisher Shirts trugen. Ein paar Tränchen rollten, aber Andy hat mich getröstet. Er konnte verstehen, wie sich das anfühlte.
Ich ließ den Wettkampftag Revue passieren und stellte fest, dass ich das Rennen trotz Widrigkeiten genossen habe. Es war spannend und es hat Spaß gemacht. Und meine Leistung auf dem Rad kann sich sehen lassen: vom ersten Rollen über die Matte in der Wechselzone bis zur nächsten Zwischenzeit nach 5 km waren 48 Minuten vergangen. Die restlichen 175 km habe ich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwas mehr als 26 km/h geschafft. Das war mein geplanter Mindestschnitt mit allen Gängen! Ich war körperlich und mental gut vorbereitet und hätte es definitiv schaffen können.
Danke
Danke an alle lieben Menschen, die an mich geglaubt und mich unterstützt haben, die mir während des Rennens vor Ort und online die Daumen hielten und mich angefeuert haben. Ich danke meiner Familie und meinen Freunden für die Nachsicht, dass ich weniger Zeit für sie hatte. Meinen Freunden und Trainingskollegen Diana, Kali, Konni und Klaus danke ich für Rat und Tat. Ich danke vor allem dir, Andy. Für ein Nikolausgeschenk, das ich mein Leben lang nicht vergessen werde und, dass du ganz besonders an mich glaubst.
Wir leben jetzt und schieben nichts hinaus.
Fotos: privat und marathon-photos.com