Michaela Renner-Schneck erklärt euch, wie ihr selbst ein wenig mehr Struktur in euer Training bekommt, um effektiver zu arbeiten, ohne sofort einen Coach nehmen zu müssen.
Kommt euch das bekannt vor: Ihr habt euch ganz fest vorgenommen, diesen Winter zu nutzen, um euch im Laufen eine solide Grundlage für den Sommer aufzubauen und klar, ihr wollt die Sache sinnvoll aufgebaut und mit Struktur angehen. Ihr seid aber nun mal keine Ex-1500m-Läuferin und könnt auch heute noch jederzeit auf euren damaligen Trainier als Ansprechpartner zurückgreifen. In den üblichen “one-fits-all” Online-Trainingsplänen habt ihr auch schon rumgestöbert – „Von 0 auf 10Kilometer in Rekordzeit“, „Marathon unter 4 Stunden” oder das berühmte „Greif-System“ anpassbar für jede Strecke und jede Zielzeit.
Ein Trainingsplan für alle, gibt es nicht!
Einen Plan mit dem Namen „Einfach mal Struktur reinbringen und dann mal sehen“ habt ihr aber bisher nicht gefunden – und das hat seine Gründe! Ein solches Vorhaben ist nämlich per Definition eine durch und durch individuelle Geschichte, schließlich wollt ihr euer ganz persönliches Lauftraining strukturieren und mit eurem ganz persönlichen Alltag in Einklang bringen, dass ein vorgefertigter Standard-Plan das nicht leisten kann, ist irgendwie logisch. Aber deswegen jetzt gleich einen online-coach bezahlen?
Teurer anonymer Online-Coach oder lieber selbst ist die Frau …
Ok, jetzt könntet ihr resignieren und euch sagen, „na gut, dann wurschtel ich halt weiter so vor mich hin und versuche, nicht grade jeden Tag das Gleiche zu laufen“, oder aber ihr nehmt die Sache selbst in die Hand und werdet quasi euer eigener Personal-Trainer.
Zugegeben, ich habe leicht reden. Seit über 15 Jahren bin ich schon im Triathlon-Zirkus unterwegs und habe mit verschiedenen Trainern zusammengearbeitet und Erfahrungen mit unterschiedlichen Trainingsphilosophien gesammelt. Außerdem habe ich seit kurzem selbst eine Trainer-Lizenz und als gelernte Biochemikerin zudem ein gewisses Hintergrundwissen in Sachen Physiologie.
Erfahrung und Wissen machen es einem ganz klar einfacher, sein eigener Trainer zu sein. Es ist aber auch mit viel weniger Background möglich, sich zumindest ein solides Grundlagentraining auf eigene Faust aufzubauen – und, glaubt mir, das ist oftmals mindestens so erfolgreich wie ein super-mega professioneller Trainingsplan aus dem Internet. Es erfordert nur etwas mehr Eigenverantwortung und vielleicht ein bisschen initiale Hilfestellung. Genau die möchte ich euch in diesem Artikel – und einigen folgenden – geben.
Nicht das Was, sondern das Wie ist entscheidend
Kontinuität ist das Stichwort zum Erfolg, statt immer dem neueste Hype hinterherzurennen.
Das Wichtigste vorneweg – und um auch die letzten Zögererinnen zu überzeigen: Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es beim Grundlagentraining gar nicht so sehr auf das Was ankommt, sondern auf das Wie. Es ist nicht entscheidend, ob ihr Bergläufe, Treppenintervalle oder ein Fahrtspiel im Gelände macht oder ob ihr den langen Dauerlauf mit oder gegen den Uhrzeigersinn rennt. Entscheidend ist, dass ihr systematisch vorgeht und Kontinuität in euren Trainingsalltag bringt. Das ist zugegeben, gar nicht so einfach. Beim surfen im Internet, beim Durchblättern einschlägiger Zeitschriften oder auch einfach beim freundschaftlichen Austausch mit Sportkollegen, ständig werden einem neue Trainingskonzepte oder präsentiert. Das induziert, zumindest bei mir – sofern es sich nicht um offensichtlichen Schwachsinn handelt, meist das Gefühl, das sofort selbst ausprobieren zu müssen. Es önnte ja der ultimative Perfromance-Booster schlechthin sein…
Kontinuität ist das A und O
Versteht mich nicht falsch, Mädels, neue Sachen ausprobieren, macht nicht nur Spaß, sondern kann in der Tat auch echte Fortschritte bringen. Wer aber jede Woche was Neues anfängt, ist jeden Montag aufs neue Anfänger :-). Im Grundlagentraining geht es allerdings genau darum, sich langsam an ein neues Belastungslevel zu gewöhnen. Dem Körper sprichwörtlich einen Brocken vorwerfen, den er erst mal schlucken muss. Beim nächsten Mal geht es dann schon etwas besser oder wenigstens wissen Kopf und Beine, dass das schon mal geklappt hat und beim übernächsten Mal (oder auch beim über- über- nächsten Mal) schafft man dann sogar eine Steigerung. Auf diese Weise baut man sich nach und nach eine solide, langfristige Basis auf. Ihr seht also, ganz einfaches Prinzip
– der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und das kann man ausnutzen.
Strategie überlegen und Woche im Voraus planen
So, damit hätten wir schon einmal den wichtigsten Baustein des Grundlagentrainings: Kontinuität!
Damit daraus ein strukturierter Trainingsplan wird, müsst ihr euch im Grunde nur noch überlegen, bezüglich welcher Fähigkeiten ihr eine Grundlage aufbauen wollt, sprich welche Art von Brocken euer Köper wegstecken soll. An diesem Punkt könnte man jetzt ganz tief in die Trainingslehre abtauchen und “rumtheoretisieren”. Das haben aber bereits unzählige schlaue Menschen vor mir getan und es würde euch auch nicht wirklich weiterbringen. Da ich mich in dieser Beitragsserie ohnehin nur auf das Laufen konzentrieren will, möchte ich euch statt dessen eine Art Grundgerüst für ein Grundlagentraining an die Hand geben. Dabei soll es zu Beginn erst einmal um die strategischen Basics gehen, also die Frage, welche Überlegungen sollte ich im Vorfeld anstellen, um die Sache angehenzukönnen. Am besten geht ihr dabei ganz methodisch nach folgendem Muster vor:
– Strategie überlegen: Was will ich und welche Möglichkeiten habe ich?
Wie gesagt, das wichtigste beim Grundlagentraining ist Kontinuität. Deshalb mein Rat: Setzt euch erst mal hin und überlegt euch, was ihr tun wollt. Macht euch Gedanken, welche Art von Trainingsinhalten ihr umsetzen wollt und wie ihr diese ganz konkret realisieren könnt – und, ganz wichtig, überlegt euch wie viel Zeit (pro Woche) ihr für euer Lauftraining zur Verfügung habt und auf wie viele Trainingseinheiten ihr diese verteilen wollt.
Im Optimalfall plant ihr dann die Trainingsinhalte für den gesamten kommenden Trainingsblock – klassischerweise sind das 4-8 Wochen. Überlegt euch welche Einheiten ihr in jeder einzelnen Woche machen wollt und wie sich diese im Laufe euers Trainings entwickeln sollen. Also zum Beispiel ihr fangt an mit einem Tempdauerlauf (TDL) über 15 Minuten (natürlich plus Ein- und Auslaufen), den ihr bis zum Ende des Blocks auf 25 Minuten ausbauen wollt, und gleichzeitig nehmt ihr euch vor den langen Dauerlauf (LDL) von 75 auf 90 Minuten auszudehnen.
Es hilft, Wochen im Voraus zu planen und „Hindernisse“ vorherzusehen
Generell empfehle ich, sich an den guten alten drei Kerneinheiten pro Woche zu orientieren und diese dann je nach Trainingszustand und Zeitbudget um weitere Einheiten zu ergänzen. Klassischerweise wären das ein MDL, also ein mittlerer Dauerlauf, bei dem ihr euch auf relativ flacher Strecke auf einen sauberen, zügigen Laufstil konzentriert, außerdem eine etwas schnellere Einheit wie ein Tempodauerlauf (TDL) oder für Fortgeschrittene Tempo-Intervalle, mit denen ihr an eurer Bewegungsökonomie bzw. Laktattoleranz arbeitet sowie ein langer, ruhiger Dauerlauf (LDL). Wer dann noch Kapazitäten frei hat, für den empfiehlt es sich, jeweils in einer zusätzlichen eigenständigen Einheit, an der Kraftausdauer, zum Beispiel in Form von Berganläufen und an der Lauftechnik zu arbeiten. Letztere muss dabei nicht zwingendermaßen als komplett eigenständige Technikeinheit auf einem Sportplatz oder einer Tartanbahn umgesetzt werden. Statt dessen könnt ihr auch einen Lauf-ABC-Blocks quasi als Aufwärmprogramm vor einem lockeren Dauerlauf absolvieren und so quasi zwei Trainingseinheiten in einer machen. Wichtig ist nur, dass ihr nicht versucht NACH einem Dauerlauf mit müden Beinen an eurer Technik zu arbeiten, das klappt nicht!
Eine realisitsche Planung ist alles
Nun, da ihr einen langfristigen Fahrplan vor Augen habt, macht ihr euch am Anfang jeder neuen Woche daran, zu überlegen, wie ihr euren Plan jetzt am besten mit der Realität in Einklang bringt. Schnappt euch dazu am besten einen Wochenkalender und tragt alle Termine ein, die in der kommenden Woche anstehen und an denen nicht zu rütteln ist. Dann platziert ihr eure Kerneinheiten – am besten zu solchen Zeiten, an denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie auch tatsächlich stattfinden werden. Ihr wisst, was ich meine, die Lücke von 17:30 bis 19:00 Uhr zwischen Feierabend und Verabredung ist eher ein Wackelkandidat, als der Sonntagvormittag oder der Donnerstagabend, an dem euer Partner auch immer später nach Hause kommt.
Thema Trainingsauswertung
Für die Trainingsauswertung sollte man sich immer separat Zeit nehmen und erhlich mit sich sein. Genau dieser Punkt ist meiner Meinung nach entscheidend, um ein sinnvolles Training von einem just-for-fun Fitnessprogramm zu unterscheidet. Keine Angst, ihr müsst dazu nicht endlos Trainingsdaten herunterladen und mit der neuesten Analysesoftware zu jedem Intervall eine extra Graphik erzeugen. Ich persönlich kann zwar nicht verstehen, warum das machen Menschen offenbar keinen Spaß zu machen scheint, es geht aber definitiv auch weniger aufwändig. Wichtig ist nur, dass ihr euch retrospektiv mit eurem Training auseinander setzt und es analysiert – das bedeutet, ihr müsst ehrlich zu euch selbst sein.
Die Bestandsaufnahme ist der Schlüssel zum effektiven Training
Zu diesem Zweck schlage ich euch folgende Vorgehensweise vor:
Nehmt euch am Ende jeder Woche circa 20 Minuten Zeit. Macht zu aller erst eine Bestandsaufnahme und erfasst ganz neutral die nackten Zahlen: Wie viele Kilometer, Stunden und Trainingseinheiten habt ihr runtergespult. Am einfachsten ist das natürlich, wenn man alle Trainingseinheiten auf seinem Trainingscomputer gespeicherten hat und herunterladen kann. Es geht aber auch mit einer Excel-Tabelle oder einem ganz altmodischen Trainingstagbuch und einm Taschenrechner.
Im nächsten Schritt fragt ihr euch: Konnte ich alles umsetzen, was ich mir vorgenommen habe? Habe ich zum Beispiel alle Einheiten, die ich mir vorgenommen habe, absolviert? Wenn nein, warum nicht? Was lief gut? Was habe ich nicht hinbekommen? Woran lag das? Dieser Schritt ist meiner Meinung nach der Schlüssel zu einem erfolgreichen Training und es ist wichtig, dass ihr den zunächst ganz alleine macht, ohne, dass euch jemand rein redet! Vor euch selbst, braucht ihr euch keine Ausreden ausdenken. Wenn ihr keine Lust hattet, raus in den Regen zu gehen, dann ist der Grund „keine Lust“ und nicht „Kopfschmerzen“ oder „keine Zeit“. Erst wenn ihr das Kind beim Namen nennt, könnt ihr das nächste Mal dieser Unlust erfolgreich entgegenwirken.
Ausreden bringen euch nicht weiter!
Seid schonungslos offen und überlegt euch statt Ausreden lieber Gegenmaßnahmen. Ist vielleicht 7:00 Uhr morgens einfach keine gute Zeit für einen anstrengenden TDL? Oder verabredet ihr euch besser mit jemandem, wenn ihr länger als eine Stunde rennen sollt/wollt?
Ganz ähnlich sieht es bei der inhaltlichen Analyse der einzelnen Einheiten aus. Wenn ihr euch zum Beispiel fragt, warum eure Tempoeinheit einfach nur zäh war und ihr keine Ahnung habt wie ihr das nächste Woche noch schneller bzw. 5 Minunten länger aushalten sollt. Aber Vorsicht, auch hier ist es zwar wichtig, dass ihr ehrlich gegenüber euch selbst seid und keine faulen Ausreden gelten lasst – aber nein, ehrlich heißt nicht, sich selbst runterzumachen wie das vor allem wir Mädels gerne tun, wenn es im Training nicht so gelaufen ist, wie wir es uns vorgestellt haben. Es bringt euch gar nix, wenn ihr euch sagt, ich bin einfach zu schlecht. Fragt euch stattdessen lieber objektiv nach den Ursachen: War aufgrund der äußeren Umstände heute einfach nicht mehr drin? Habe ich mich eventuell mit meinem Wochenpensum überfordert und war einfach zu platt? Oder ist die tatsächlich die Zeit/Geschwindigkeit/Streckenlänge, die ich mir vorgenommen habe doch etwas zu viel für mich? Jetzt kommt der Teil, in dem ihr Verantwortung übernehmen und nicht einfach eure Trainerin, sondern selbst eine gute Trainerin sein müsst. Solltet ihr tatsächlich feststellen, dass ihr euch überfordert habt, dann schraubt einen Gang zurück. Und nein, ihr seid deswegen nicht schlecht, sondern smart!
Wenn euch meine hier ausgeführten Trainingsphilosophie-Basics zusagen, lest doch einfach immer mal wieder an dieser Stelle rein. In meinen kommenden Beiträgen werde ich versuchen, euch mit detaillierteren Tips und konkreteren Anleitungen für spezifische Zielsetzungen noch mehr Handwerkszeug mit auf den Weg zu geben, eure eigene Trainerin zu sein.
In diesem Sinne, viel Spaß bei EUREM Training.
Es grüßt ganz herzlich
Die Rennschnecke
Michaela Renner-Schneck ist Botschafterin des tritime women-Teams. Sie ist seit 15 Jahren aktive Triathletin und konnte bereits viele Top-Ten-Platzierungen im Gesamtfeld bei Ironman- und Ironman 70.3-Rennen feiern. Zudem besitzt Michi einen Triathlon-C-Trainierschein (Leistungssport). Mehr Infos über sie auf ihrer Homepage.