Was ihr über eure Füße und zum Thema Lauftechnik wissen solltet und warum Barfußlaufen durchaus Sinn macht, erklärt euch Judith Mess in zwei Artikeln.
Kürzlich hatte ich die Möglichkeit, bei einem Barfuß-Workshop der Barefoot Academy teilzunehmen und möchte euch hier an meinen Eindrücken und Erkenntnissen teilhaben lassen.
Doch warum eigentlich Barfuß Laufen? Über das Thema Füße habe ich mir schon öfters Gedanken gemacht, wer kennt das nicht: nach einem langen Arbeitstag oder Trainingstag in Schuhen sind die Füße müde, teilweise schmerzen die Zehen und man ist einfach froh, die Schuhe auszuziehen. Wir machen viel. um unseren Körper zu kräftigen und stärken, um noch leistungsfähiger zu sein – dehnen, Stärkung der Rumpfmuskulatur, Krafttraining, Faszienrollen, Massagen – doch die Füße sind bei diesem Training meistens außen vor und dass, obwohl sie unser Fundament bilden. Wir können nur so gut stehen und gehen, wie unser Fundament gebaut ist.
Über das Barfuß Laufen hatte ich bereits hier und da etwas gelesen. Ist das nur ein Trend oder steckt doch mehr dahinter? Wenn ich etwas wirklich umsetzen möchte, muss ich verstehen, was dahinter steckt und welche Auswirkungen dies für mich haben kann. Mit dem richtigen Hintergrundwissen fällt die Umsetzung in der Praxis viel leichter. Aus diesen Gründen wollte ich mehr zu diesem Thema erfahren.
Der Workshop war in zwei Teile gegliedert, zuerst stand einen Theorieteil auf dem Programm, in dem wir viel über unsere Füße lernten. Danach galt es, die erlernten Grundlagen in die Praxis umzusetzen. Mit zahlreichen Übungen, angeleitet von unserem Barfuß-Laufcoach Emanuel versuchten wir, die ideale Barfuß-Lauftechnik zu erlernen.
Warum ohne Schuhe laufen?
Zurecht stellt ihr euch vielleicht die Frage, warum bei all diesen technischen Entwicklungen der Schuhindustrie es gut sein soll, barfuß zu laufen. Hinter jedem Laufschuh steckt doch ein bestimmtes Ziel, eine bestimmte Fehlstellung,die korrigiert werden soll oder ein Laufstil der gefördert werden soll. Aber brauchen wir und unsere Füße diese Technologie wirklich? Unserer Vorfahren trugen keine Schuhe, viele Naturvölker tragen auch heute noch keine Schuhe. Auch als Kind sind wir noch viel öfter Barfuß gegangen, doch warum fällt es uns heute schwerer? Warum sind unsere Füße heute empfindlicher? Warum brauchen wir Schuhe die unsere Füße unterstützen?
Die Fußmuskulatur trainieren
So paradox es klingt, je mehr wir in Schuhen laufen, desto mehr bildet sich unsere Fußmuskulatur zurück, da durch ein Fußbett dem Fuß die Arbeit abgenommen wird. Unser Fuß muss sich nicht mehr selber in die ideale Position bringen, dies wird durch den Schuh übernommen, dadurch bildet sich die Fußmuskulatur zurück und wir sind immer mehr auf die Unterstützung der Schuhe angewiesen. Solange wir also Schuhe tragen, werden wir immer auf Schuhe angewiesen sein. Doch das tragen von Schuhen hat noch weitere Konsequenzen, nicht nur die Muskulatur wird geschwächt, auch wird die natürliche Form unseres Fußes beeinträchtigt, was erhebliche Auswirkungen auf unsere Lauftechnik und die optimale Kraftübertragung beim Laufen mit sich zieht.
Wie sieht die natürliche Fußform aus?
Die Ursprüngliche Form unseres Fußes kann als V Form beschrieben werden, wobei die Ferse der schmalste Teil ist und der Fuß nach vorne breiter wird. Der große Zeh steht im Idealfall gerade nach vorne und hat zudem eine sehr hohe Bedeutung – Er stabilisiert unseren Fuß in jeglicher Situation, ob wir Gehen, Stehen oder Laufen. Wenn ihr im Vergleich zu dieser V-Form einen Schuh anschaut, spiegelt dieser in der Regel nicht diese Form wider. Seien es modische Schuhe, Sneakers oder Laufschuhe; sie alle laufen vorne schmal bis rund zu und werden gerade vorne nicht breiter. Dies macht uns zunächst nichts aus, denn wenn ihr versucht, mit den Händen eure Zehen zusammenzudrücken, werdet ihr merken, dass es kaum bis gar nicht schmerzt. Ein leichter Druck ist vielleicht zu spüren, mehr aber auch nicht. Wir können also unsere Zehen so in Schuhe einengen, ohne erst einmal großartige Schmerzen zu verspüren. Man könnte meinen, wo kein Schmerz ist, ist auch kein Problem. Falsch gedacht, denn so verändert sich die natürliche Form unseres Fußes und die Zehen, die eigentlich die Funktion haben, unseren Fuß und damit uns nach außen zu stabilisieren, werden so in Richtung Fußmitte gezogen. Dies hat zum einen Auswirkungen auf unser Fußgewölbe, aber auch die Belastungspunkte des Fußes verschieben sich, wodurch sich Knie und Becken verdrehen können und dies zur Folge hat, dass sich Probleme der Wirbelsäule bis hin zum Kiefergelenk hochziehen können. Unsere Füße haben sich durch das ständige Schuhe tragen so sehr angepasst, dass oftmals zwischen den einzelnen Zehen keine Zwischenräume mehr sind und die Zehen eng beieinander stehen.
Nicht nur die Schuhform hat Auswirkungen auf uns, auch die Sohle
Bisher ging ich immer davon aus, dass das Tragen von hohen Schuhen unproblematisch sei. Versucht aber mal Folgendes: stellt euch aufrecht vor einen Ganzkörperspiegel, geht dann auf Zehenspitzen und beobachtet was mit eurem Oberkörper passiert. Der Oberkörper bleibt wahrscheinlich aufrecht, doch das passiert nur, weil ihr automatisch das Becken vorkippt. Verbringt ihr also den ganzen Tag in Absatzschuhen, ist das Becken permanent in einer Schieflage. Wenn wir also täglich unsere hohen Schuhe tragen, wird dadurch nicht nur die Fußform beeinträchtigt, sondern auch das Becken verdreht.
Selbst wenn wir Laufschuhe mit Sprengung tragen, hat dies eine Auswirkung auf die Stellung unseres Beckens.
Zu diesem Zeitpunkt begann ich bereits innerlich, über mich selbst den Kopf zu schütteln und mich zu fragen, was ich mir und meinen Füßen in der Vergangenheit eigentlich angetan habe. Schmale Schuhe und Absatzschuhe: mein Schuhschrank ist voll damit und ich trage Sie täglich, seit Jahren. Und das trifft nicht nur auf die Alltagsschuhe, sondern auch auf viele unsere Sportschuhe zu. Sie alle entsprechen oft nicht der Form, die unser Fuß benötigt. Glücklicherweise bin ich verletzungstechnisch bisher immer verschont geblieben, aber wer weiß, wie lange das noch gut geht.
Die Kraft kommt aus den großen Zehen
Warum die V-Form unseres Fußes für das Laufen so wichtig ist, wurde uns nun anhand unseres Fußabdruckes verdeutlicht. Dazu stellten wir uns auf eine Fußdruckmessplatte, anhand derer unser Fußabdruck und die Kraftübertragung visualisiert wurde.
Im Idealfall soll auf dem großen Zeh der meiste Druck lasten, denn von diesem sollten wir uns sowohl beim Gehen als auch beim Laufen abdrücken. Dadurch wird eine optimale Kraftübertragung erzielt. Steckt unser Fuß allerdings in klassischen Schuhen, werden unsere Großzehen eingeengt und es ist schwer bis unmöglich über die Großzehen abzurollen.
Ich war in der Tat sehr erstaunt, als ich meinen Fußabdruck dann sehen konnte. Da ich beim Laufen sehr stark über den Vorfuß komme, ging ich davon aus, dass mein Kräfteverhältnis nicht so schlecht sei. Tatsächlich entwickle ich allerdings nicht die Kraft über die großen Zehen, sondern über die Ballen. Dadurch nutze ich nur einen geringen Teil meines Fußes beim Laufen und kann mich daher nicht so kraftvoll abdrücken, da ich ja nur eine kurze Zeit überhaupt Bodenkontakt habe. Von den Verletzungsrisiken ganz zu schweigen. Meine großen Zehen waren auf dem Abdruck kaum zu sehen und auch wenn ich jetzt bewusster versuche zu laufen, fällt mir auf, dass ich in meinen normalen Schuhen kaum Kraft auf die großen Zehen bringen kann, da diese viel zu sehr in den Schuhen eingeengt sind.
Etwas vereinfacht könnt ihr das auch zuhause testen: Stellt euch Barfuß auf einen ebenen Untergrund und versucht zu spüren, an welchen Stellen eurer Füße ihr den stärksten Bodenkontakt habt. Ich spüre hier immer noch den Ballen am stärksten, seit ich aber die Übungen, die ich im Workshop gelernt habe, regelmäßig durchführe, spüre ich mehr und mehr, wie die großen Zehen mehr Kontakt zum Boden bekommen.
Zu kleine Schuhe schaden dem Körper
Der Vortrag hat mich wirklich zum Nach- und Umdenken gebracht. Seit ich mich erinnern kann habe ich meine Füße immer in viel zu kleine bezeihungsweise zu enge Schuhe gezwängt. Ich habe für eine Frau ziemlich große und auch breite Füße, irgendwo im Bereich 41 oder eher 42 bis 43 – Ja, ich bin eitel, wenn es um Schuhe geht. Waren sie schön, habe ich mich gerne auch in zu klein reinezwängt. Klar, die Füße schmerzten am Abend etwas, aber das geht ja vorbei und solange es gut aussieht. Doch selbst wenn wir denken, die Schuhe passen, ist dies in der Regel nicht der Fall und sie führen zu einer Veränderung unserer natürlichen Fußform. Auch wenn ich bei Laufschuhen immer auf die richtige Größe geachtet habe, sind sie doch vorne häufig zu schmal geschnitten und haben auch hier meine Füße eingeengt. Wir trainieren so hart, verzichten teilweise auf vieles in der Vorbereitung und wollen das Beste aus unserem Körper herausholen, doch durch das ständige Tragen von Schuhen schaden wir ihm.
Klar, kann ich nicht von heute auf morgen nur noch Barfuß laufen und ich werde wahrscheinlich auch in Zukunft noch gerne den ein oder anderen “normalen” Schuh tragen, aber was sich mir wirklich nachhaltig in den Kopf gesetzt hat, ist „Achtsamer“ mit mir und meinem Körper umzugehen und dazu gehören auch die Füße.
Vorschau: Wie ihr den oben genannten Veränderungen entgegenwirken könnt und was eine ideale Lauftechnik auszeichnet, erfahrt ihr im zweiten Teil des Artikels
Text: Judith Mess
Fotos: Barefoot Academy und privat