Warum ist es so schwierig, auf sich aufzupassen? Gute Ratschläge für andere, hat man doch auch immer parat. Eine Frage, die sich Michaela als Sportlerin und werdende Mama gestellt hat.
Es ist schon fast so etwas wie ein Klassiker: Ein erstes Kratzen im Hals, das jedoch wirklich nicht stark genug ist, der Freundin abzusagen, schließlich ist diese ja auch froh, wenn sie bei diesem Sauwetter nicht alleine zum flotten Dauerlauf aufbrechen muss.
Während des Laufens und direkt danach fühlt man sich sogar fast besser als davor – erst ein paar Stunden später muss man einsehen, dass man die Lage (mal wieder) falsch eingeschätzt hat – the point of no return has been crossed. Der Körper signalisiert einem, dass er auch noch andere Geschütze als Halskratzen auffahren kann, um die Ruhe zu bekommen, die er braucht um mit den Viren, die er sich eingefahren hat, fertig zu werden. Alles was einem jetzt noch bleibt ist, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um möglichst schnell wieder auf die Beine zu kommen.
Ich skizziere dieses Szenario bewusst so detailliert, weil ich mir sicher bin, dass die meisten von euch diese Situation genau so schon erlebt haben.
Ich kann mich in dieser Hinsicht glücklich schätzen, mein recht robustes Immunsystem mutet mir wirklich nur sehr selten den Frust eines grippalen Infektes zu. Wenn es mich in der Vergangenheit aber doch erwischt hat, war ich immer super darin, alle Symptome so lange zu ignorieren, bis mir auch ein Tag auf dem Sofa als beinahe unmenschliche körperliche Herausforderung erschien. Auch „am Ende der Krankheit“ war ich oft zu ungeduldig. Mir ist durchaus bewußt, dass es erst wieder Sinn macht, ins Training einzusteigen, wenn der Körper auch in der Lage ist, einen Trainingsreiz gewinnbringend zu verarbeiten. Jedem meiner Athleten, die ich coache, und auch jedem kranken Trainingskollegen, rate ich eindringlich, lieber noch einen Tag länger auf der Couch zu verharren, um sich optimal auszukurieren – selbst habe ich diesen Rat allerdings nie wirklich umgesetzt.
Bis heute.
Verantwortung übernehmen
Einen Tag vor Silvester hatte ich, nach fast zwei komplett erkältungsfreien Jahren, mal wieder den point of no return in klassischer Triathleten-Manier überschritten. Soweit nichts Neues. Anders war allerdings, dass es dieses Mal, sofern überhaupt möglich, noch unnötiger war, als all die Male davor. Kein Trainingsplan und kein höheres sportliches Ziel „zwangen“ mich dazu, trotz Halskratzen, zu rennen. Im Gegenteil, ich bin im 6. Monat schwanger und renne und schwimme im Moment wirklich einfach nur, weil es Spaß macht und weil ich es zu meiner großen Freude immer noch kann. Umso mehr habe ich mich also geärgert, dass ich trotzdem nicht besser auf mich und den zu 2/3-fertigen Anderen aufgepasst habe. Ich weiß nicht so genau warum – ob es Schuldgefühle waren oder erste Anflüge von Mutterinstinkt? Jedenfalls fiel es mir so leicht wie nie zuvor während dieses Infekts, einfach auf mein Bauchgefühl zu hören. Ich machte mir zum ersten Mal in einer solchen Situation keinen Kopf darüber, wie lange es wohl dauern würde, bis ich wieder fit wäre und wie viel von meiner Form ich einbüßen würde. Ich habe mich einfach aufs Sofa gelegt und versucht, meinem Körper und meinem ungeborenen Kind die Ruhe – und ja, auch die Nährstoffe – zu geben, die sie jetzt brauchen. Ob ich in dieses Mal, ohne die übliche Pharma-Unterstützung, mehr gelitten habe, als mit Medikamenten, kann ich nicht beurteilen. Wenn ich krank bin leide ich immer wie ein Kerl – intensiv und ausgiebig. Interessanterweise ging es mir aber auch ganz ohne Grippostad oder WickMediNight zwei Tage später wieder deutlich besser. Trotzdem habe ich es geschafft, den ersten Impuls zu unterdrücken, jetzt erst einmal ein paar Bergintervallen zu testen, ob der noch leicht raue Hals nicht vielleicht an der frischen Luft vollends ganz gesund werden könnte.
Immer Ruhe bewahren
Tja Leute, was soll ich euch sagen: Heute am 4.Tag nach dem point of no return war ich wieder Laufen – es war ein Ah-ha-Erlebnis. So gut habe ich mich in einer ersten Einheit nach der Krankheit in all den vielen Jahren Leistungssport noch nie gefühlt – kein Hangover-Feeling, kein noch leicht benebelter Kopf, keine schweren Beine. Ich war einfach nur klar, stark und energiegeladen. Ich bin mehr geflogen,als gelaufen und das, obwohl die Kugelform meines Bauches sicherlich nicht gerade einen dynamischen Laufstil begünstigt.
Für was Muttergefühle alles gut sein können
Mag sein, dass ich manchmal etwas philosophisch-grüblerisch veranlagt bin, aber mir stellt sich nach dieser Erfahrung eine Frage: Wieso ist es so schwierig, die richtige Balance zwischen gesunder Härte und Selbstzerstörung zu finden – speziell für uns Ausdauersportler? Und wie schafft es ein Wesen, das noch nicht einmal selbst lebensfähig ist, das einfach so gerade zu rücken? Der kleine Kerl, ohne überhaupt ein fertiger Mensch zu sein, hat es bereits geschafft, mich entspannter und ausgeglichener werden zu lassen. Wieso brauche ich erst die „Legitimation“ eines Anderen? Ich bin mir sicher auch vor der Schwangerschaft hätte es mir hier und da nicht geschadet, besser auf mich aufzupassen.
Wie dem auch sei. Ich habe wieder etwas gelernt – und nehme mir hiermit ganz fest vor, diese Lektion auch zu beherzigen, wenn ich wieder alleine in meinem Körper bin.
Eines werde ich allerdings leider nie mehr erfahren: Wie muss es wohl sein, wenn man schon als junge Athletin so cool ist, Krankheiten erstens rechtzeitig anzuerkennen und zweitens vollständig auszukurieren. Es wäre daher schön, wenn sich einige von euch finden, die das für mich ausprobieren könnten – ich glaube, das lohnt sich!
In diesem Sinne, wünsche ich euch noch nachträglich ein gesundes neues Jahr!
Passt auf euch auf!
Herzliche Grüße von der Rennschnecke
Text: Michaela Renner-Schneck