Michaela Renner-Schneck erlebte in den letzten Monaten harte Zeiten. Sie hatte eine komplizierte Schwangerschaft und verbrachte viel Zeit im Krankenhaus. Kurze Zeit später schnürt sie wieder die Laufschuhe. Warum, erzählt sie euch selbst.
Obwohl es meine erste Schwangerschaft war und ich somit keinerlei Erfahrung hatte, war ich mir recht sicher, dass ich diesen Sommer ganz bestimmt nicht in der Form sein würde, irgendwelche Lauf-Rennen zu bestreiten. Nicht, dass wir uns falsch verstehen, es stand für mich nie zur Diskussion, meinen Sport mit Kind komplett aufzugeben. Ich wusste immer, dass ich eine aktive Mama sein möchte – nur wie genau das aussehen würde, war mir nicht klar. Klar war mir nur, dass ich auf absehbare Zeit nie und nimmer fit genug sein würde, um mich an eine Startlinie zu trauen … was hauptsächlich an meinen eigene Ansprüche liegt. Für die Durchschnitts Coach-Potato mag das nach ausgemachtem Blödsinn klingen – aber Sportlerinnen mit Bewegungsdrang verstehen sicher, was ich meine ;-).
Renneinladung zum BellinRun
Lange Rede kurzer Sinn, mein Entschluss „keinen Rennen im Sommer 2018 zu machen“, stand fest, als ich Anfang Januar eine Email von der Renn-Direktorin des BellinRun erhielt. Der BellinRun ist eines der größten 10-km-Rennen in den USA und die Renn-Direktorin teilte mir mit, ich hätte mich aufgrund meiner Leistung aus dem letzten Jahr für das Elitefeld in diesem Jahr qualifiziert und sie würde sich sehr freuen, wenn ich als „Local-Racerin“ diesen auch wahrnehmen würde. Kurze Info am Rande: besagtes Rennen findet mehr oder weniger direkt vor meiner (vorrübergehenden) Haustüre hier in Green Bay, Wisconsin statt. Aus besagten Gründen lehnte ich dieses Angebot jedoch ohne zu zögern ab. Mehr aus Höflichkeit, als aus echtem Interesse, bat ich jedoch darum, mir meinen Startplatz für das nächste Jahr zu reservieren. Die Dame gewährte mir diese Bitte, ließ mir aber, vermutlich ebenfalls aus reiner Höflichkeit, die Option offen, mich auch kurzfristig noch für das diesjährige Rennen einzuschreiben, sollten sich die Dinge ändern.
Wenn Dinge sich ändern
Was soll ich sagen, zwischen diesem Mail-Verkehr Anfang Januar 2018 und dem BellinRun am 9. Juni 2018 ist viel geschehen:
Die letzten Wochen meiner Schwangerschaft waren der reinste Alptraum. Ende Januar wurde bei mir in einem Routine Ultraschall in der 28 Schwangerschaftswoche eine Ruptur der Plazenta festgestellt – Ursache unklar – und noch am selben Tag wurde ich ins BellinHospital zu konstanten Überwachung eingewiesen. Dort verbrachte ich 25 lange Tage und Nächte, in denen ich nichts mehr und nichts weniger tat, als um das Leben meines Babys zu kämpfen. Es waren bis dato die härtesten dreieinhalb Wochen meines Lebens. Eine für mich vollkommen neue Art von hart .. denn ich kann unglaublich hart zu mir und meinem Körper sein, wenn es darauf ankommt. Mein Krankenhausaufenthalt hatte aber nicht nur mit mir zu tun – es ging um viel mehr, als um irgendeinen „furchtbar wichtigen“ Wettkampf. Ich musste mich und meine (Bewegungs-)Bedürfnisse komplett aufgeben, um das Leben meines ungeborenen Babys zu retten. Es war die Hölle. Freiwillig eingesperrt in einem Krankenzimmer, zwar mit der theoretischen Erlaubnis – nicht aber dem Mut – mich etwas zu bewegen. Aber ich kämpfte. Bis zur 31 Schwangerschaftswoche hielt ich durch – dann ging alles recht schnell. Zusammenbruch, Notkaiserschnitt und keine drei Stunden später besuchte ich, beziehungsweise das, was von mir übrig geblieben war, meinen kleinen Sohn auf der Neugeborenen-Intensivstation.
Laufen als Therapie nach der Geburt
Was folgte waren die wirklich schlimmsten Wochen meines Lebens. Unser kleiner Sohn, Fabian, war zwar den Umständen entsprechen stark und hat von der ersten Sekunde an selbstständig geatmet, mit 31 Wochen war er aber einfach viel zu “unfertig” und viel zu klein, um aus eigener Kraft zu überleben. Am Ende blieb er neun lange Wochen auf der Neugeborenen-Intensivstation. Neun Wochen, in denen mein Mann und ich körperlich und psychisch immer am Rande des Zusammenbruchs agierten und manchmal auch tatsächlich einfach zusammenbrachen. Das einzige, was mir in dieser Zeit Stabilität und die Möglichkeit gab, meine Gedanken etwas zu Ruhe zu bringen, war das Laufen. An meinen guten Tagen, wenn ich nicht gerade vollkommen erschöpft und übermüdet war, lief ich direkt vom Krankenhaus los. Einfach so, ohne Vorgabe nur, um wenigstens für eine gute Stunde, nichts denken zu müssen. Versteht mich bitte nicht falsch, ich will an dieser Stelle keiner Neu-Mama raten, eine knappe Woche nach einem Notkaiserschnitt wieder die Laufschuhe zu schnüren – vermutlich ist das sogar grober Unfug und ein Spiel mit dem Feuer. Meine Ärztin habe ich darum auch gar nicht erst um ihr OK gebeten. In dieser Situation brauchte ich meinen Sport aallerdings mehr denn je. Die Lauferei hat mir nicht nur meine körperlichen Fähigkeiten zurückgebracht, sondern vor allem geholfen, ein Mindestmaß an innerer Ruhe zu finden und es hat mir die Kraft gegeben, mit der permanenten Sorge um meinen kleinen Sohn fertig zu werden.
Laufen, um zur Ruhe zu kommen
In all den Jahren in denen ich nun schon in der Ausdauersport-Szene unterwegs bin, konnte ich bis dato nie verstehen, warum so viele Menschen unbedingt ihren nur wenige Wochen alten, Nachwuchs ausgerechnet auf der Ziellinie eines Rennens in die Arme schließen wollen. Direkt von der Intensivstation kommend, mit dem gerade wieder frisch aufgewühlten Gefühlsmix aus Angst, Hilflosigkeit und Frustration wurde mir dann aber klar: Das muss DAS am meisten zufriedenstellende Gefühlt sein, das ein Athlet verspüren kann. Und während des anschließenden Laufes erwischte ich mich dabei, mir vorzustellen, wie ich meinen starken, und inzwischen bei uns zu Hause wohnenden, Jungen auf der Ziellinie vor eben jenem Krankenhaus, in dem wir so viele Wochen zusammen verbracht haben, verschwitzt in die Arme schließe. Fast schon kitschig-schön …
Nun tragen Wochen im Krankenhaus nicht gerade positiv zum Formaufbau nach einer Schwangerschaft plus Kaiserschnitt bei. Trotzdem, dieses Gefühl wollte ich unbedingt haben und außerdem gefiel mir die Vorstellung, wenigstens über meinen eigenen Körper so etwas wie Kontrolle zurückzubekommen und auf ein positives Ziel hinzuarbeiten. Und überhaupt, verglichen mit der Angst, sein Kind zu verlieren, erschien mir die Angst vor einem schlechten 10-km-Lauf doch ziemlich lächerlich. Es stand also fest: Ich werde meinen Startplatz für den BellinRun wahrnehmen, ganz egal, in welcher Form ich war. Ich will laufen, mich verausgaben und auf der Ziellinie meinen Fabian in die Arme schließen.
Pure Lebensfreude
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Ich musste die Renndirektorin nicht lange bitten. Am 9. Juni durfte ich dann mit einer Hand voll Kenianer und einigen wenigen hellhäutigen Laufcracks ganz vorne an der Startlinie stehen. Nie hätte ich gedacht, dass es mir in einem solchen Moment tatsächlich egal sein würde, dass ich in eher bescheidener Form war. Dass ich anstatt mich verrückt zu machen, einfach nur den Moment genoß und froh war, am Start zu stehen. Aber genau so war es!
In diesem Sinne Mädels: Es ist eine großartige Sache, seinen Sport leistungsorientiert und mit entsprechendem Ehrgeiz zu betreiben, lasst euch von der Jagd nach Bestzeiten aber nicht den Blick auf das Wichtigste, was der Sport und das Laufen euch geben kann, vernebeln: Vertrauen in euren eigenen Körper und Lebensfreude – auch in ganz dunklen Zeiten!
Text: Michaela Renner-Schneck
Fotos: privat