Ihr sportliche Karriere begann Laura Chacon Biebach als Läuferin. Seit ein paar Jahre startet die 35-Jährige als Profi-Triathletin. Dieses Jahr standen bei ihr leider keine Wettkämpfe auf dem Programm. Im März wurde sie beim Radfahren auf Teneriffa von einem Auto angefahren. Die Folgen beschäftigten sie noch Monate später.
Laura, was ist genau ist im Frühjahr im Trainingslager passiert und was waren die Folgen?
Ich war auf einer Trainingsausfahrt mit dem Rennrad auf Teneriffa als mich ein entgegenkommendes Auto beim Abbiegen anfuhr. Ich hatte unter anderem ein Schädelhirntrauma und eine Verletzung an der Halswirbelsäule. In Folge dieser Verletzungen konnte ich mich lange Zeit nicht richtig bewegen. An zielgerichtetes Training war überhaupt nicht zu denken.
Wie fühlt sich eine Triathlonsaison ohne Rennen an?
Ich musste mich erstmal umorientieren, da mein Alltag sehr auf mein Training und meine Rennen ausgelegt ist. Es war unheimlich hart, weil viele Personen in meinem Umfeld Rennen bestritten und ich auf die Zuschauertribüne verbannt war. Da ich selbst Trainerin bin, konnte ich mich nicht aus dem Sportgeschehen ausklinken, sondern wurde täglich damit konfrontiert, dass ich selbst gerade keine sportlichen Leistungen erbringen konnte.
Körperlich habe ich durch den Unfall erfahren, was es heißt, wenn plötzlich nichts mehr geht. Am Anfang konnte ich mich kaum im Bett drehen. Sehr lange war ich auf Hilfe im Alltag angewiesen. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich, die mir bewusst machte, wie gut es einem geht, wenn man fit genug ist, selbstständig durch den Tag zu kommen.
Im weiteren Verlauf hatte ich mit starker Erschöpfung zu kämpfen. Ich konnte zwar wieder Laufen und Radfahren, aber es fühlte sich so an, als wäre jede Bewegung unheimlich anstrengend und meine Wattwerte waren so schlecht, dass ich anfangs dachte, mein Powermeter sei kaputt. Nur bei meinem Puls konnte ich neue Spitzenwerte verzeichnen, denn dieser ging bereits bei lockeren Einheiten durch die Decke. Das Ganze hat mir psychisch zu schaffen gemacht. Es war für mich nicht greifbar, warum nichts ging und damit sehr schwer zu ertragen.
Ich fühlte mich um meine Identität beraubt. Ich war immer topfit und hatte endlos Energie und plötzlich strengte mich selbst ein lockeres Training unheimlich an. Ich verbrachte viele Tage im Bett oder auf der Couch. Ich war wütend auf meinen Sport, weil ich seinetwegen so viel Kummer hatte. Ich dachte in dieser Zeit nicht nur einmal darüber nach, meine Karriere zu beenden.
Woher kam die extreme Erschöpfung Wochen nach dem Unfall. Gibt es eine Erklärung dafür?
Ich denke, eine finale Erklärung werde ich nie bekommen, aber ich war im engen Austausch mit meiner Heilpraktikerin und einigen Ärzten, um mögliche Gründe zu finden. Schädelhirntraumen und Traumen der Halswirbelsäule richten manchmal Schaden an, den man nicht so genau messen kann. Wenn der Körper Ruhe braucht, hat er seine Mechanismen, uns ruhig zu stellen. Dazu kam, dass ich auch sehr viele starke Medikamente nehmen musste, die wahrscheinlich auch ihre Spuren hinterließen. Wahrscheinlich ist es immer eine Kombination vieler Dinge, die in Summe zu viel sind und Ruhe und Zeit brauchen.
Wie hoch ist der finanzielle Druck, wenn man als Profi-Sportlerin keine Rennen bestreiten kann?
Es fällt ein großer Teil der Einnahmen mit den Sponsorengeldern und Prämien weg. Ich habe mich allerdings gleich zu Beginner meiner Profikarriere so aufgestellt, dass ich mich durch meine Trainertätigkeit finanziere und der Rest wirklich nur “nice to have” ist.
Als Trainerin und Profi-Sportlerin beschäftigst du dich viel mit der Ernährung. Warum ist das so ein wichtiges Thema für dich?
Bei sehr vielen Ernährungstagebüchern, die ich bekomme, wird mir schlecht. Genauso bei immer noch etablierten Aussagen zur Kalorienrestriktion rund um das Training. Die Ernährung ist für mich nicht vom Training zu trennen. Der Trainingsplan mag noch so gut sein, wenn die Ernährung nicht passt, wird es langfristig nicht funktionieren. Das Erschreckende ist, dass man diesem Aspekt generell noch viel zu wenig Beachtung schenkt. Als Trainerin habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, Training und Ernährung optimal aufeinander abzustimmen. Dafür habe ich noch ein Fernstudium zur Ernährungsberaterin für Sportler absolviert.
Stichwort Red-S. Was ist das genau und was hat das Thema mit dir zu tun?
Red-S – relative energy deficiency – ist ein Zustand der entsteht, wenn dem Körper nach Abzug des Trainingsumsatzes zu wenig Energie bleibt. Die Symptome können ständige Verletzungen, Abgeschlagenheit, Leistungsabfall, Ausbleiben der Menstruation, Schilddrüsenprobleme und vieles mehr sein. Nicht jeder hat alle Symptome. Es gibt keinen Marker oder Test für Red-S und viele Athleten, sogar Ärzte wissen gar nicht, dass es das gibt. Man geht in Ausdauersportarten wie Laufen und Triathlon, von 60 bis 75% Betroffenen aus. Wobei nicht jeder Sportler Symptome im gleichen Ausmaß entwickelt.
Meine Laufkarriere habe ich wegen ständiger Verletzungen vorzeitig beenden müssen. Ich wechselte zum Triathlon, weil es mit den damaligen orthopädischen Problemen besser zu vereinbaren war. In Kurzfassung war meine Laufkarriere ungefähr so: Ich entdeckte, dass ich super schnell bin. Trainierte zwei Monate etwas ambitionierter und war verletzt. Trainierte wieder zwei Monate und war wieder verletzt. Gleichzeitig hatte ich meine Periode nicht mehr, oder nur, wenn ich länger verletzt war. Ich hatte zwei Ermüdungsbrüche und teilweise sehr lang anhaltende Sehnenentzündungen. Auf der Suche nach der Ursache war ich bei unzähligen Ärzten und hatte verschiedene Trainer. Red-S wurde nicht ein einziges Mal erwähnt, wobei es damals noch viel weniger erforscht und bekannt war als heute. Ein einziger Sportarzt sprach mich auf die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Verletzungen an. Das war der Startschuss, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Fängt man an sich an, intensiv damit zu beschäftigen, sieht man mit großem Entsetzen, wie viele Sportler tatsächlich unter Ernährungsdefiziten leiden.
Ganz wichtig dabei ist, Red-S hat nichts mit dem Gewicht zu tun. Bei mir war es so, wie bei vielen anderen auch, dass ich trotz viel zu wenig aufgenommener Kalorien, zugenommen habe. Der Körper hat seine Mechanismen, wenn er in Not gerät. Isst man noch weniger, um nicht weiter zuzunehmen, ist der Supergau perfekt.
Wie kann man seinen Energieverbrauch und seine Energieaufnahme kontrollieren?
Den Energieverbrauch kann man über gewisse Formeln und Tools schätzen. Wobei diese Werte nie genau sind. Wer es genau wissen will, muss eine Spiroergometrie – Messung der Atemgase während der sportlichen Belastung – durchführen. Gerade Leistungssportler entsprechen oft nicht der Norm, sondern haben einen viel höheren Energieverbrauch und dadurch auch einen höheren Bedarf. Die Kalorienaufnahme lässt sich heute zum Glück einfacher denn je mit diversen Apps tracken.
Welche Rolle spielt dein Trainer Simon Hoyden beim Thema Datenanalyse?
Ich bin auf Simon durch einen Podcast aufmerksam geworden, in dem er über seine Karriere und Red-S spricht. Bei ihm war es wie bei mir, nur noch etwas schlimmer. Ich hatte schon viele Trainer, aber es funktionierte meistens nicht lange. Entweder war ich schnell verletzt oder ausgebrannt. Mein Körper kann super viel leisten und mein Kopf noch viel mehr. Dennoch oder gerade deshalb, ist bei mir Fingerspitzengefühl gefragt, um mich nicht zu überlasten. Mit Simon habe ich mittels einer großen Diagnostik viele Werte ermittelt, mit denen er mein Training und meine Erholung gezielter planen kann. Zusätzlich habe ich auf Grund der Werte einen individuellen Ernährungsplan bekommen, mit genauen Angaben, wie viele Kalorien ich am Tag brauche – auch für mein Training.
Wo stehst du rund acht Monate nach deinem Unfall und was sind deine Pläne für die nächsten Monate?
Gesundheitlich bin ich immer noch etwas angeschlagen, aber nicht mehr so, dass ich mich deswegen von irgendetwas abhalten lassen würde. Zudem kommt das Vertrauen in meinen Körper zurück. Meine Leistungsfähigkeit lässt noch etwas zu wünschen übrig, aber ich kann mich wieder komplett belasten, was ein sehr gutes Zeichen ist. Mental bin ich in gewisser Weise sehr stark geworden und gleichzeitig gelassener. Trotzdem sind auch Narben geblieben, die ich mit der Zeit noch etwas „aufarbeiten“ muss. Ich denke, alles Schlechte hat auch etwas Gutes. Diesen gestärkten und gelasseneren Teil in mir, möchte ich nicht mehr missen. Konkrete Pläne, traue ich mich noch nicht zu formulieren. Erstmal ist mein Ziel, wieder auf das Leistungsniveau von vor meinem Radunfall zu kommen und dann wird sich sicher ein passendes Rennen finden, um wieder in den Wettkampfsport einzusteigen
Interview: Meike Maurer
Fotos: privat
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