Glück muss man haben

Über Maastricht nach Hawaii: Wenn dein Pechtag zum doppelten Glückstag wird. Silke Freynhagen erzählt ihre persönliche Ironman-Liebesgeschichte.

Hätte mir vorher jemand gesagt, was mich beim Ironman Maastricht erwartet, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Doch ich habe gelernt, dass alles möglich ist und dass das Wichtigste ist, niemals aufzugeben und immer weiter zu kämpfen, denn abgerechnet wird an der Finish Line.

Nach meinem ersten Ironman 2015 bei 40 Grad in Frankfurt wollten mein Freund Chris und ich es noch einmal wagen. Der Ironman Klagenfurt war schon ausgebucht – also suchten wir nach Alternativen und sind beim Rennen in Maastricht hängengeblieben. Mein erster Gedanke war – ätzend – das ist bestimmt so eine flache Drückerstrecke. Bäh, das ist doch gar nicht meins. Aber gut, der Plan lautete, dass Chris sich dort den Slot für Kona sichern sollte. Chris und ich sind sogar vor dem Rennen extra angereist, um den Kurs abzufahren. Da fand ich die auch noch ganz in Ordnung. Ich glaube ja bis heute, Chris ist mit mir einfach eine andere Strecke gefahren damit ich nicht doch noch kneife :-).

Der Weg ist das Ziel
Also begann ich im Oktober 2015 zu trainieren und zu trainieren und zu trainieren. Alles für diesen einen Tag. Der sollte perfekt werden. Oft habe ich mich gefragt: „Warum tust du dir das an?“ Du könntest es so schön haben. Eis essen, an den Wochenenden ausschlafen, Party machen! Aber ich muss ehrlich sagen, das Training ist das, was mich anspornt, motiviert und mich immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Aber der Weg ist bekanntlich das Ziel. Und das Schönste ist, dass ich es mit meinem Freund Chris gemeinsam machen kann.

Der große Tag
31. Juli 2016, 4:20 Uhr, der Wecker klingelt. Raceday! Mir war so schlecht, hatte seit Tagen Halsweh und fühlte mich zum in die Tonne kloppen. Der Gedanke, 11 Stunden Sport machen, kam mir wie ein schlechter Witz vor. Egal, einfach machen wie immer, Milchreis reinstopfen bis er zu den Ohren rauskommt.

Es geht los!
Rolling Start … du kommst dir vor wie auf der Schlachtbank. Schritt für Schritt kommst du dem Schicksal näher. Ich reihte mich völlig falsch ein. Eigentlich wollte ich mich bei 1:20 Stunden Schwimmzeit hinstellen, aber allein in der Reihe stehen wollte ich auf keinen Fall. Also stand ich bei 1:10 Stunden mit Nina, einer Freundin, mit dem Wissen, die überschwimmen dich dann alle.“ Ehe ich mich versah, war das Köpfchen schon unter Wasser und ganz automatisch begann ich zu kraulen. Locker, leicht, schnell, einfach schwimmen. Das Schwimmen lief ganz gut, zumindest ging es schnell rum.

silke-feynhagen_rad

Pleiten, Pech und Pannen
Nach 1:14 Stunden krabbele ich aus dem Wasser. Erste Tropfen fallen vom Himmel. Ab aufs Rad! „Hau in die Pedale“ dachte ich nur, das wird dein Rennen.“ Ich fuhr los. Keine 500 Meter später und einen Schaltvorgang später – zack – meine Kette springt runter und verkeilt sich so richtig. Mit Gegenschalten versuchte ich noch etwas zu retten, ohne Erfolg. Also ruhig bleiben. Absteigen. Kette richten. Nach fünf Minuten und einer gefühlten Ewigkeit geht es weiter. Noch war nichts zu spät. Regen, Kälte, Nässe und die Strecke nicht gerade athletenfreundlich. Schon jetzt lagen viele Flaschen und Schläuche dank der vielen Schlaglöcher überall auf dem Boden. Das Feld entzerrte sich kaum, da die Feldwege recht eng waren. Peng bei einem Schlagloch verlor ich meine hintere Trinkflasche mit Palatinose. Mist. Dann die erste Verpflegungsstation. Es war so voll dort und ein Gedränge, dass ich mich nicht durchsetzen konnte. Na ja, es kommen ja noch genug. Treten, einfach weiter treten. Ich verfluchte schon jetzt die kurvenreiche Strecke. Bei der Kopfsteinpflasterpassage in der Innenstadt verliere ich auch noch mein Trinkröhrchen. Super, jetzt wird das Trinken auch noch erschwert. Bei Kilometer 98 ruft mir ein Freund zu „läuft doch wie Lack.“ Gut ist zwar anders, aber läuft.

Kaum sagt er das wurde ich beim Überholen so doof abgedrängt, dass ich mit dem Vorderrad in die Mitte zwischen zwei Steinplatten kam. Es gab einen Schlag und intuitiv machte ich einen Bunny- Hopp hoch und auf die Seite, um aus dieser Rille heil rauszukommen. Das hat sich nicht räderfreundlich angehört. Bei jedem Bremsen schleift es. Schlagloch Nummer 1001. Peng. Der Schlauch hinten platzt. Verdammt. Ich steige ab und versuche, ganz ruhig zu bleiben. Hole meine Flicksachen raus, aber der Mantel will nicht runtergehen. Ich werde immer nervöser und hibbeliger. Ich rufe die Kampfrichter und habe Tränen in den Augen. Sagt schon „ok, du muss aufhören.“ Die haben aber offensichtlich Mitleid mit mir und helfen mir, zumindest den Mantel runter zu machen. Gut, ich mache weiter, aber eine Katusche reichte nicht aus, um genug Bar in den Schlauch zu bekommen. Ich habe noch eine Zweite, aber die bekomme ich nicht mehr auf den Katuschenkopf. In der Hektik habe ich das Köpfchen falsch drangemacht. Verzweifelt setze ich mich an den Rand und sage, „ok ich bin raus, ich schaffe es nicht.“ Gedanklich war ich schon bei der Anmeldung für Mallorca oder Barcelona und warte hier auf den Besenwagen. Schade. Ich weinte und war völlig fertig. Schade? Warum soll jetzt alles Schinden für die Katz gewesen sein? Wenn man so viel Pech hat, muss man doch auch mal Glück haben. Zweiter Gedanken, wenn alle Frauen jetzt eine Panne haben und aufgeben, dann gewinnt diejenige, die weiterkämpft. Ich raffe mich auf, nehme die zweite Katusche und stelle fest, wenn ich den Katuschenkopf tausche dann fluppt das auch. Zack, Luft war wieder drin, Hinterrad rein und weiter. Mit Wut und Tränen kämpfte ich mich weiter. Ich wünschte mir, dass jetzt noch eine Panne kommt, sodass ich einen Grund habe endgültig aufzuhören. Aber es läuft. Ich versuche zu überholen und zu drücken und mich einfach noch mal nach vorne zu fahren. „Ich will den Zielbogen sehen, ich will mein Finisher Shirt und diese Medaille. Komme, was da wolle. Aufgeben gibt es nicht.“

Meine Disziplin
Endlich bin ich in der Wechselzone. Ziemlich sauer ziehe ich meine Laufschuhe an und renne los. Bei Kilometer fünf zwingt mich Seitenstechen zum Gehen. „Reiß dich zusammen. Laufen, das kannst du.“ Ich schliesse die Augen und versuche mich in den Zustand zu bringen, den ich gerne haben will. Locker, leicht, schnell mit Schub nach vorne. Es läuft wieder. Die Kilometer verfliegen und mein Wille, diesen Marathon unter 4 Stunden zu rennen, wird stärker und stärker. Kilometer 41, eine aus meiner AK will mich überholen. Aber nicht mit mir, ich hatte einen miesen Tag, jetzt muss die mich nicht noch überholen. Ich gebe alles. Es reicht und ich bin endlich im Ziel! Aber wo stand mein Name? Meine Zeit? Nichts. Ich breche in Tränen aus. Die haben mich rausgenommen. Das kann doch nicht sein. Chris versucht, mich zu beruhigen. Kurze Zeit später erfahre ich meine Zeit – 11:27:09 Stunden – auch wenn sie mich schon fast nicht mehr interessierte. Schließlich verbrachte ich 35 Minuten am Streckenrand.

Ich frage voller Hoffnung Chris fliegen wir nach Hawaii? Nein, sagte er, leider nicht. Ich war so traurig, enttäuscht und wütend. Ich wollte nur noch Heim. Die Frage nach dem Sinn kam wieder auf. Doch trotz allem war ich stolz, dass ich gefinished hatte.

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Award Party & Slotvergabe
Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg zu Award Party. Es geht los. Der Bürgermeister hält eine Ansprache. Plötzlich geht Chris auf die Bühne. Mein Herz klopft. Er erzählt von meinem Wunsch, auf Hawaii heiraten zu wollen. Kurz und schmerzlos macht er mir einen Heiratsantrag. Ich renne auf die Bühne und falle ihm in die Arme. Wie schön ist das denn.
Alle freuen sich und klatschen. Und es sollte noch besser werden.

Slot-Vergabe in meiner Altersklasse
Nur die Siegerin in meiner Altersklasse holt sich ihren Slot ab. Alle weiteren Namen vor mir werden vorgelesen, aber niemand meldete sich. Als Siebte in meiner Altersklasse bekomme ich tatsächlich noch das Ticket für Hawaii und das coolste – jetzt kann ich tatsächlich auf Hawaii heiraten.

Fotos: privat

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