Wenn die Schilddrüse schlappmacht, kann das auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit einen großen Einfluss haben. Das mussten Anita Horn und Profitriathletin Daniela Bleymehl am eigenen Leib erfahren. Wie die beiden die operative Entfernung einer Schilddrüsenhälfte und den Wiedereinstieg ins Training gemeistert haben, erzählt Anita Horn.
„Fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung hat einen Knoten oder eine Schilddrüsenvergrößerung“, weiß Chirurgin Doktor Costanza Chiapponi von der Universitätsklinik Köln.
Irgendwie war ich ständig so schrecklich müde. Ich kam morgens nicht aus dem Bett, musste mich zum Sport schleppen und bin abends nach dem Essen immer direkt eingeschlafen. Die Blutuntersuchungen bei meinem Hausarzt haben nichts ergeben, die Werte waren okay. Also ging ich zum Endokrinologen. Ein Ultraschall vom Hals zeigte, dass ich einen kleinen Knoten in der Schilddrüse hatte, nur ein paar Millimeter groß und laut Arzt weder ein Grund zur Beunruhigung noch für meine Müdigkeit. Ich sollte zwei Jahre später zur Kontrolle kommen. Und dann ging alles recht schnell.
Tschüss, Schilddrüse. Hallo, Ironman!
Ähnlich geht es Tausenden anderen Sportlern. So auch Profitriathletin Daniela Sämmler. Bei ihr wurde Ende 2016 ebenfalls ein Knoten in der Schilddrüse entdeckt. Ob gut- oder bösartig konnte anfangs nicht geklärt werden. Für Daniela hieß es zunächst abwarten und weiter trainieren. Die nächste Untersuchung konnte erst fünf Wochen später erfolgen. „Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, aber ich habe erst einmal versucht, mich in dieser Zeit nicht verrückt machen zu lassen, sondern weiterzumachen wie immer“, berichtet die 29-Jährige im Nachhinein.
Schilddrüsenkrebs?
Auch ich habe den Knoten mehr oder weniger vergessen oder verdrängt und habe einfach weiter trainiert. Zwei Jahre später ergab ein erneuter Ultraschall allerdings, dass der Knoten auf über zwei Zentimeter gewachsen war. Ordentliches Tempo, dachte ich mir. Wenn ich mal so schnell laufen könnte, wie der wächst. Aber nach Scherzen war mir nicht mehr lange zumute, denn die Aussage des Arztes verdarb mir schlagartig die Laune: „Er kann harmlos sein, es kann aber auch Schilddrüsenkrebs sein.“ Bäm! Ich habe direkt bei so vielen Nuklearmedizinern angerufen, bis ich noch am selben Tag einen Termin für eine bildgebende Szintigrafie hatte. Mit dieser radiologischen Untersuchung wird festgestellt, ob der Knoten kalt oder warm, aktiv oder inaktiv und damit gutartig oder böse ist. Auf die Ergebnisse sollte ich zwei bis drei Wochen warten. Kaum war ich aus der Klinik raus, habe ich für den Rest des Tages geheult.
Auch bei Daniela wurde im Januar 2017 eine Szintigrafie durchgeführt. Als diese kein eindeutiges Ergebnis ergab und eine Bösartigkeit des Knotens, der innerhalb kurzer Zeit sehr schnell gewachsen war, nicht auszuschließen war, entschieden die Ärzte, dass zeitnah operiert werden muss – mitten in der Hauptvorbereitung auf die Wettkampfsaison. Der blanke Horror für einen Profisportler. Der Termin für die OP: Mitte Februar. „In dieser Zeit hing ich ziemlich in der Luft. Trotzdem habe ich versucht, mich bis zum Eingriff abzulenken und mich so wenig wie möglich damit auseinanderzusetzen. Solange kein Ergebnis vorliegt, ist es das Schlimmste, sich selbst verrückt zu machen“, erinnert sich Daniela zurück.
Befund versus Wettkampfplanung
Drei Wochen nach meiner Untersuchung lag die Diagnose im Briefkasten: Befund unklar. Es folgten weitere Untersuchungen und ein halbes Jahr später eine Biopsie. Aber auch diese Gewebeproben haben nichts ergeben. Somit wurde mir zu einer Operation geraten – denn sollte der Knoten bösartig sein, was man nicht ausschließen konnte, war eine Entfernung ein Muss. Wäre bei der Untersuchung nicht zufällig aufgefallen, dass da ein Knoten wächst, wäre ich vermutlich noch Jahre damit rumgelaufen. Aber hätte, wäre, wenn – hier ging es um meine Gesundheit. Bei der nächsten Kontrolle habe aber selbst ich auf den schwarz-weiß-schwammigen Ultraschallbildern eine klare Veränderung der Gewebestruktur erkannt und sämtliche Wettkämpfe sofort gecancelt. Eine Woche später wurde mir die rechte Schilddrüsenhälfte entfernt.
Der Fels in der Brandung
Meine Chirurgin Doktor Costanza Chiapponi von der Universitätsklinik Köln klärte mich vor der OP auf und beruhigte mich. „Fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung hat einen Knoten oder eine Schilddrüsenvergrößerung.“ Mein Eingriff war Routine. Ich wollte allerdings schnell wieder Sport machen, denn ohne den bin ich nicht zu ertragen. „Es gibt keinen wissenschaftlichen Daten, wann man nach einer OP wieder Sport machen darf. Ich empfehle grundsätzlich, sich bis zwei Wochen nach dem Eingriff zu schonen und dann langsam wieder anzufangen“, so Doktor Chiapponi. Gesagt, getan. Der Eingriff verlief gut, der Knoten war zum Glück gutartig, die Schwellung verlief sich schnell und ich durfte nach zwei Wochen das erste Mal wieder locker laufen. Allerdings mit Einschränkungen …
Weniger rund lief es bei Daniela Bleymehl (vormals Sämmler), die nicht in Köln operiert wurde. Als sie aufwachte, hatte sie fast keine Stimme mehr. Bei der Entfernung der linken Schilddrüsenhälfte war ihr Stimmbandnerv verletzt worden. „Bei der ersten OP ist das Risiko sehr gering und tritt nur in etwa zwei Prozent der Fälle auf. Meistens handelt es sich dabei dann lediglich um vorübergehende Störungen“, so Doktor Chiapponi. „Ich durfte zehn Tage nach dem Routineeingriff wieder ins Training einsteigen. Leider war an alles andere als lockeres Radfahren zunächst nicht zu denken, weil ich extrem schnell Atemprobleme bekam.“ Die lädierten Stimmbänder beeinflussten die Luftröhre, was Daniela vor allem beim Schwimmen beeinträchtigte. „Beim Radfahren und Laufen konnte ich die Intensität und Atmung einigermaßen kontrollieren und entsprechend reagieren, wenn die Belastung zu hoch wurde. Beim Schwimmen hingegen bekam ich zwischendurch richtig Panik“, erzählt die Profiathletin.
Zwischendurch habe sie die Saison schon dahinschwimmen sehen, aber Daniela gab nicht auf: „Mein Umfeld hat mir in dieser Zeit sehr geholfen, und das Radfahren war mein ‚Fels in der Brandung‘. Nach so einem Eingriff braucht man etwas zum Festhalten, etwas Gewohntes und Positives. Das Radfahren gab mir Sicherheit. Während ich in den anderen beiden Disziplinen einige Schritte zurückgehen musste und über Wochen nicht wie geplant trainieren konnte, habe ich beim Radfahren einen großen Sprung gemacht. Vermutlich hat es mir hier sehr gutgetan, so ruhig zu trainieren – wenn auch gezwungenermaßen.“
Ein deutlicher Sprung
Daniela nimmt seit der Operation jeden Morgen Hormontabletten: 75 Mikrogramm L-Thyroxin. Die hat sie von Anfang an gut vertragen. In diesem Fall war es bei mir genau anders herum. Fünf Tage nach der Operation und den ersten paar Tabletten fingen bei mir starke Nebenwirkungen an: innere Unruhe, wahnsinnige Hitzewallungen und Herzrasen. Ich setzte die Tabletten ab, und das Leid kehrte sich um: fast komatöse Müdigkeit. An Sport war kaum zu denken. Ich versuchte es zwar immer wieder, aber ich konnte keinen Kilometer ohne Schnappatmung und müde Muskeln machen. Erst als die Tablettendosis langsam gesteigert wurde, vertrug ich sie besser und konnte wieder ins Training einsteigen. Mittlerweile bin auch ich bei 75 Mikrogramm gut eingestellt – laut Blut und laut Wohlbefinden. Meine Müdigkeit hielt lange, lange an. Drei Monate nach der OP war ich wieder uneingeschränkt einsatzfähig. Und gerade bereite ich mich auf meinen ersten Ironman im Juli in Frankfurt vor.
Daniela hat ihre erste Langdistanz nach der Operation schon längst hinter sich – und nicht nur das. „2017 war meine bisher beste Saison“, kann sie stolz berichten. Sie gewann den Ironman Hamburg und erzielte bei der Langdistanz Barcelona ihre persönliche Bestzeit in 8:55:11 Stunden. Sie gewann den Challenge Heilbronn, die Mitteldistanz beim Chiemsee Triathlon, die Olympische Distanz beim Frankfurt City Triathlon und kam bei der Challenge Kaiserwinkl-Walchsee sowie dem Ironman 70.3 Rügen als Zweite ins Ziel.
Die Operation ist sicher nicht der Grund dafür, aber sie hat Daniela auch nicht an neuen Bestleistungen gehindert. Ihr Fazit: „Es war ein denkbar schlechtes Timing, und im Nachhinein denke ich, ich hätte mir doch eine längere Ruhephase geben sollen. Während der Hauptvorbereitung ist das allerdings leichter gesagt als getan. Eine gute Erfahrung war andererseits, festzustellen, wie schnell einem die Prioritäten klar werden: Am Ende des Tages steht die Gesundheit an erster Stelle. Ich bin einfach froh, dass es mir wieder gut geht.“
Schilddrüsenhormone beeinflussen den Energiestoffwechsel
Die von der Schilddrüse produzierten Hormone werden ins Blut freigesetzt und sind für die Energieleistung der Zelle verantwortlich. Sie regulieren den Sauerstoffverbrauch in Herz, Muskeln und Haut sowie die Wärmeproduktion. „Bei lang anhaltender extremer Überfunktion besteht die Gefahr einer Muskelschwäche, bei einer lang anhaltenden extremen Unterfunktion die der Verlangsamung der Sehnenreflexe.“ Das kann vor allem bei Sportlern, die ihren Körper zusätzlich belasten, ein großes Problem werden.
Gerade für Frauen sind auch noch andere Faktoren entscheidend. „Sowohl eine Überfunktion als auch eine Unterfunktion der Schilddrüse können die Fruchtbarkeit der Frau negativ beeinflussen. Die Schilddrüsenhormone wirken auf die Eizellreifung und den weiblichen Zyklus“, so Doktor Chiapponi. „Man vermutet, dass bis zu zehn Prozent der ungewollt kinderlosen Frauen von einer Schilddrüsenstörung – meist einer Unterfunktion – betroffen sind. Es macht in diesen Fällen und insbesondere bei einer unregelmäßigen Periode Sinn, die Schilddrüse testen zu lassen.“
Regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung
Chirurgin Doktor Costanza Chiapponi rät, die Schilddrüse präventiv untersuchen zu lassen, wenn in der Familie bereits Erkrankungen vorkommen, denn „Schilddrüsenerkrankungen sind zu einem gewissen Maß erblich veranlagt.“ Die Untersuchung kann beim Hausarzt erfolgen, mit Tastbefund, Ultraschall und der Bestimmung der TSH-Werte im Blut. „Diese Untersuchungen gehören leider nicht zu den normalen Vorsorgeleistungen der gesetzlichen Krankenkassen, sodass die Patienten die Kosten teilweise selber tragen müssen.“ Wer allerdings Symptome zeigt, für den sind die Untersuchungen im Normalfall eine Kassenleistung. „Wenn die Schilddrüse auf die Luftröhre drückt, können Schluck- oder Atembeschwerden auftreten. Das ist aber eher selten der Fall. Eine Überfunktion kann sich durch Nervosität, Konzentrationsschwäche, innere Unruhe, Schlafprobleme oder durch vermehrtes Schwitzen bemerkbar machen. Eine Unterfunktion kann depressive Stimmungen, Kälteempfindlichkeit oder Antriebslosigkeit verursachen. Bei schweren Unterfunktionen können Müdigkeit und Antrieblosigkeit auftreten, die eine verringerte Belastbarkeit verursachen und Sportler bei ihrem Training hindern.“
Anita Horn ist Journalistin, Autorin, Bloggerin und Sportlerin. Sie ist 35 Jahre alt, lebt in Köln, macht seit 2013 Triathlon und arbeitet nebenbei als Trainerin. Infos: ahornzeit.de
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