Auf was reagieren wir und was spricht uns emotional an. Wir haben uns mit Daniela Dihsmaier unterhalten. Sie ist Triathletin und hat das Buch “Brutal Mental” geschrieben.
Wann hast du die Entscheidung getroffen als systemischer Mentalcoach zu arbeiten und welche Ausbildungen hast du in diesem Bereich absolviert?
Ich habe wirklich sehr viele Ausbildungen gemacht, studiert, und vor allem später zwei Coaching Ausbildungen absolviert – eine über zwei Jahre hinweg als systemischer Coach an der Universität und eine als Sport Mental Coach. Außerdem habe ich eine Fortbildung zur Ernährung und eine Trainer B-Lizenz abgeschlossen, um die Grundzüge der körperlichen Leistungsgrenzen noch besser zu verstehen.
Zunächst aber begann alles bereits während meines Medienwirtschafts-Studiums an der TU Ilmenau. Ich arbeitete parallel viel im Musik-, Film- und Medienbereich und lernte dort sehr viel darüber, worauf Menschen reagieren und was sie emotional anspricht. Nachdem ich als Diplom-Wirtschaftswissenschaftlerin über zehn Jahre erst als Junior Consultant und später als Projektleiterin für Change Projekte in einem Konzern gearbeitet habe, wurde mir immer klarer:
Veränderung beginnt im Kopf und wie dieser Kopf so funktioniert, das fand ich unglaublich spannend.
Als Petra Müssig, meine Ausbilderin im Sport Mental Coaching, nach meiner erfolgreichen Abschlussprüfung zu mir sagte: „wenn du dich nicht selbstständig machst, bist du selbst schuld!“, war mir klar, ich setze alles auf eine Karte und fange als Coach und Berater für Athleten und Berufstätige neu an. Ohne einen einzigen Kontakt. Das war ein großes Risiko, aber ich glaubte daran.
Es gibt etliche Mentalcoaching Bücher auf dem Markt. Was hat dich bewogen, in die Tasten zu hauen und wie unterscheidet sich „Brutal Mental“ von anderem Lesestoff, den es gibt?
Während meiner ersten Zeit als Coach hatte ich das Glück, dass ich gleich für einige Fachzeitschriften, unter anderem für die tritime, Fachbeiträge schreiben durfte. So wurde ein Verlag auf mich aufmerksam, der auch Fachbücher verlegt. Immer wieder fragten sie mich, ob ich nicht ein Buch zu mentalen Themen veröffentlichen wolle. Ich zögerte lange. Ich habe im eigenen Bücherregal schon so viele Bücher zu mentalen Themen im Sport stehen, dass ich der Meinung war, ein weiteres Buch, braucht kein Mensch. Doch je länger ich als Coach tätig war, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich die meisten Bücher zu kurzgefasst fand: sie konzentrieren sich häufig sehr stark auf das Wettkampfgeschehen oder auf die Willensstärke. Das war mir zu wenig. Ich wollte es ganzheitlicher schreiben und auf all die Aspekte eingehen, die mir bis dahin im Coaching begegnet sind. Bei dieser Erkenntnis half mir meine Ausbildung als systemischer Coach, der ganzheitlich und möglichst lösungsorientiert das gesamte Umfeld eines Menschen betrachtet.
Ist es von Vorteil, dass du selbst leistungsorientiert Sport betreibst oder macht das in deinen Beratungen keinen Unterschied? Auf welchen Erfahrungsschatz kannst du zurückgreifen?
Ich denke schon, dass es meinen Klienten was bringt, dass ich an mir selbst viel beobachtet habe. Ich war im Sport (heute: Triathlon, früher: Basketball, Hochsprung, Tanzen, etc.) selbst neben einem verantwortungsvollen Job immer recht erfolgreich und ich habe schon immer vieles „mental“ durch meine große Willensstärke gemeistert – auch Krankheiten und Verletzungen. Aufgrund meiner Kraft des Fokussierens bringe ich sehr viel Selbstdisziplin mit. Allerdings kommen manchmal Albernheiten und Leichtigkeit zu kurz. Nichtstun kann bei mir schnell zu Unruhe führen. Das half mir zu verstehen:
Es braucht mehr als die Willensstärke, es braucht eben auch die Gegenkraft: die Lässigkeit auch mal loszulassen, ohne Angst zu haben, damit gleich die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren.
Das ist meine Aufgabe, immer wieder dieses Gleichgewicht aus Willensstärke und Leichtigkeit zu finden. So trainiert jeder von uns eine Haltung mehr in seinem Leben: easy-peacy oder all-in. Jeder von uns braucht etwas andere „Zutaten“, um die innere Balance zu finden.
Du arbeitest in deinem Buch viel mit Fallbeispielen – Welches Beispiel magst du ganz besonders gern und warum?
Oh wow. Am liebsten möchte ich die Frage an dich zurückspielen. Ich habe nur echte Fallbeispiele aus meiner Coaching-Praxis herangezogen. Jedes Beispiel ist für mich besonders, weil ich um die tolle Entwicklung all dieser Menschen weiß.
Zu Triathleten fällt mir folgendes Fallbeispiel ein: Ein Amateur-Triathlet, ich nenne ihn Henry, kontaktierte mich zwei Wochen vor seinem Ironman-Rennen auf Lanzarote. Er hatte in den Rennen zuvor seine Erwartungen nicht erfüllen können und war sehr deprimiert. So hatte er eine Mentaltechnik angewandt, die ihm ein Triathlon-Profi verraten hatte: Er solle sich seine Rennen aufschreiben, wie er es sich den Verlauf im Idealfall wünscht. Doch ab dem Startschuss erlebte er, dass es gar nicht nach seinen Wünschen lief. Das deprimierte ihn und er verlor schnell die Lust am Rennen. Im Coaching-Gespräch stellte sich heraus, dass er ein höheres Machtmotiv hat. Das ist nicht besser und auch nicht schlechter als ein Leistungsmotiv, es ist aber sehr wohl entscheidend dafür, wo mental die Arbeit liegt zum Beispiel bezüglich Visualisierung und Selbstgesprächen. Als sehr guter Schwimmer schwamm er die 3,8 Kilometer so schnell er konnte, er fuhr auf dem Rad mit jedem Athleten um die Wette. Nach 90 Kilometern, also gerade mal der Hälfte, gingen ihm die Körner aus. Beim Marathon lief er als starker Läufer die ersten zehn Kilometer viel zu schnell an, was natürlich im Hinblick auf den gesamten Marathon kontraproduktiv war. Es fehlte ihm an Selbststeuerung im Rennen, da er zu stark ins Duell mit anderen Teilnehmern ging (Macht-Motiv).
Henry hatte sich nie mit einer Rennstrategie befasst, nicht überlegt, worauf er mental den Fokus legen möchte, um mehr zu seinen eigenen Stärken zu finden. In Kooperation mit dem Trainer besprach ich mit ihm, seine Rennstrategie zur verbesserten Selbststeuerung. Ich achte dabei auf die mentalen Hürden: wie spricht er in den entscheidenden Momenten mit sich selbst, was kann er den aufkommenden Zweifeln und den Heißsporn-Gedanken entgegensetzen? Ich arbeite auch gerne mit situationsbezogenen Vorbildern, die der Athlet heranziehen kann: wie würden die in seiner Situation handeln und mit sich sprechen? Zudem haben wir mentale Erinnerungsstützen in sein Training und Rennen installiert, um die neuen Denkmuster zu festigen. Mittels einer Sporthypnose haben wir außerdem neue erwünschte Assoziationsmuster hinzugefügt. Obwohl er gar nicht an Hypnose glaubte. Aber die Hypnose-Geschichte, die ich für ihn geschrieben hatte, funktionierte und er fühlte sich insgesamt im Rennen besser als in jedem Ironman-Rennen zuvor.
Wie unterscheidet sich deine Arbeit, wenn du mit Sportlern oder mit Führungskräften arbeitest?
Sportler haben die Möglichkeit, eine Veränderung sehr schnell zu beobachten: oft schon beim nächsten Wettkampf. Führungskräfte und alle Menschen, die sich beruflich weiter entwickeln wollen, haben oft aufgrund des Umfelds sehr viel höhere Hürden, da das Umfeld die Veränderung oft gar nicht erkennen kann oder akzeptieren will. Da jede Veränderung auch ihren Preis hat. Manchmal verlässt meine Klienten der Mut. Da braucht es mich als Beobachter, diese Veränderung zu sehen und zu bestärken, bis das Verhaltensmuster sich durchgesetzt hat, dann werde ich überflüssig … In selten Fällen fehlt leider Klienten die Durchhaltekraft durch dieses manchmal anstrengende Tal der Veränderung zu gehen. Irgendwann wird’s für jeden Klienten „brutal mental“. Unser Hirn belohnt uns für die Beibehaltung der eingeübten, alten Verhaltensmuster. Es braucht viel Geduld und Belohnung, um dem etwas Neues entgegenzusetzen.
Denkst du im Wettkampf selbst oft an Aussagen im Buch oder Erlebnisse aus deinen Coachings und was macht das mit dir?
Natürlich denke ich daran. Allerdings beeinflussen mich meine Coachings in solchen Fällen mehr als das Buch. Daher finde ich es auch so wichtig, dass ich selbst ab und an Wettkämpfen teilnehme: so kann ich immer wieder voller Respekt spüren, was ich von meinen Klienten erwarte.
Welche Arbeitsweise kennzeichnet dich und deine Arbeit und was macht dich glücklich und zufrieden?
Ich liebe meinen Beruf und bin sehr dankbar für das Vertrauen meiner Auftraggeber. Dass ich als Coach mehrmals jährlich von einem Beratungsunternehmen gebucht werde, das zum dritten Mal in Folge zu den Besten im Bereich Personalentwicklung zählt (laut Brand eins), ist toll. Der Weg war kein leichter. Triathlon war für mich manchmal eine schöne Ablenkung, wenn es auch oft zu kurz kam. Aber ich habe die Hürden bisher gemeistert, sehe es allerdings keinen Tag als selbstverständlich an. Ich freue mich, wie viele Menschen im Sportbereich mir inzwischen vertrauen. Manchmal staune ich selbst, wie groß die Entwicklungssprünge sind, die meine Klienten machen. Zumal ich mich sehr freue, dass meine Athleten stolz darauf sind, (anonym) ein Teil des Buchs “Brutal Mental” geworden zu sein. Und jeder meiner Klienten ist in seiner Einzigartigkeit für mich ein Superheld, den ich darin unterstützen durfte/darf, die eigenen Superkräfte weiterzuentwickeln. Ich lehne mich da an das Bild der Edna Mode, so haben mich die Asics FrontRunner getauft: sie schneidert den Superhelden in „The INCREDIBLES“ die ideale Ausstattung auf den Leib.
Danke für das Interview und weiterhin viel Erfolg, liebe Daniela.
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Interview: Meike Maurer
Foto: Marathon-Photos und Yuto Yamada