Wiebke Lühmann ist 25 Jahre alt, kommt aus Hildesheim und studiert in Konstanz Wirtschaftspädagogik und Englisch auf Lehramt. Abenteuer- und reiselustig war die sympathische Triathletin schon immer, und was gibt es Schöneres, als Training und Entdeckungsdrang gleichzeitig zu befriedigen und mit dem Gravel-Bike auf Reisen zu gehen?
Wie und wann ist die Idee entstanden, mit dem Fahrrad alleine durch die Welt zu radeln?
Die Idee entstand im Laufe meines Bachelorstudiums. Ich wusste, dass ich zwischen Bachelor und Master eine Auszeit nehmen wollte. Während der Zeit in der Uni habe ich Triathlon für mich entdeckt. Das Radfahren stellte sich für mich schnell als optimale Mischung aus Training und Fortbewegung heraus. In den Semesterferien hatte ich ab sofort immer mein Rennrad dabei, um die Gegend zu erkunden und um fit zu bleiben. So kam das eine zum anderen. Ich wollte meinen Horizont erweitern und dabei sportlich sein. Es war naheliegend, das Fahrrad als Reisemittel zu wählen. Nach meinem Praktikum bei einem Berliner Fahrradladen, bei dem ich mir von meinem Lohn mein individuell zusammengestelltes Gravel Bike kaufte und ich zudem noch einiges über Fahrradtechnik lernte, buchte ich meinen Flug.
Dass ich alleine reisen würde, hatte ich früh entschieden. Ich habe auch nie aktiv nach Begleitung gesucht. Alleine zu reisen, bedeutet für mich maximale Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.
Wiebke, nimm uns mit auf Deine Tour: Wie lange warst Du unterwegs, in welchen Ländern und wie viele Kilometer bist Du geradelt?
Insgesamt war ich acht Monate unterwegs. Von Bogotá nach Buenos Aires. Ich habe allerdings nicht den direkten Weg genommen, sodass über 7.000 Kilometer zusammengekommen sind. Danach ging es mit dem Flugzeug zurück nach Europa und von Barcelona nach Freiburg. Das waren dann noch einmal 1.300 Kilometer.
Gestartet bin ich in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Ich fuhr einmal quer durchs Land in den Norden nach Cartagena und an der Küste runter über Medellín bis nach Cali. Kolumbien war mein erstes südamerikanisches Land, das ich bereiste. Es war ein voller Erfolg. Mein Traum ging in Erfüllung: mit dem Bike in einem unbekannten Land unterwegs sein, die Leute dort kennenlernen, ihre Sprache lernen, die Landschaft genießen. Und auf dem Fahrrad erlebte ich alles viel intensiver. Ich hatte viel mehr Kontakt mit Einheimischen, die sonst nicht auf Touristen treffen. Das Radfahren verbindet Mensch und Umwelt. Anders als beim Autofahren steht man stets im Austausch mit seinem Umfeld. Die Geschwindigkeit ist so schnell, dass man noch viel sieht, aber eben nicht zu schnell, sodass man auch nichts verpasst. Ein Dorf, eine Gemeinschaft, eine „Kultur“ erfährt man so ganz anders, vor allem, weil die Menschen offen und hilfsbereit sind und man nicht in der Masse der Touristen untergeht. Vielmehr ist man komplett unabhängig vom Tourismus und kommt an Orte, an denen vielleicht noch nie ein „Gringo“ oder eine „Gringa“, also ein Weißer, war.
In Cali angekommen, nahm ich den Fernbus und fuhr drei Tage lang bis nach Peru. Dort traf ich mich mit meiner Zwillingsschwester und reiste mit ihr vier Wochen weiter. Meine Schwester kaufte sich in Lima auf dem Markt ein Bike. Wir rüsteten es mit einem Gepäckträger und Satteltaschen auf und fuhren gemeinsam über 1.000 Kilometer bis nach Bolivien. Von dort aus ging es für mich alleine weiter bis zu meinem Ziel nach Buenos Aires. Ich durchquerte Bolivien und Argentinien und machte einen Abstecher nach Chile und Brasilien. Jedes Land war ein eigenes, besonderes Kapitel meiner Reise mit besonderen Begegnungen und unvergesslichen Momenten: die gigantischen Anden zu überqueren, die 11.000 km² große Salzwüste Salar de Uyuni in Bolivien zu durchfahren, die Iguazu-Wasserfälle zu sehen … und das alles mit dem Fahrrad, aus eigener Kraft. Das war eine unvergessliche Erfahrung.
„Es ist unglaublich, was man alles alleine schafft, wenn man es muss! Genau so wird man selbstständig.“
Warum genau diese Länder?
Über Kolumbien hatte ich im Vorfeld von anderen Bikepackern nur Gutes gehört. Es wurde als eines der beliebtesten Länder für Radreisen empfohlen – und ich kann das nur bestätigen. Von Kolumbien aus bietet es sich an, während der Trockenzeit Richtung Süden zu fahren. Eigentlich war mein Plan, nur bis Lima zu radeln, aber da ich schon viel früher in Lima war als gedacht, setze ich meine Reise einfach fort. Es gab nie einen fixen Plan. Aber ich musste häufig meine Vorstellungen überdenken und mich flexibel auf neue Ziele einstellen. Zwar kann man im Vorfeld viel Zeit mit der Planung verbringen, aber unterwegs trifft man Menschen, mit denen man Tipps und Reiseberichte austauscht und durch die man sich von neuen Ideen inspirieren lässt. So kam das eine zum anderen.
Wie hast Du Deine Reise im Vorfeld und während der Tour organisiert?
Ich habe Blogs von Bikepackern in Südamerika gelesen und mich dann über Reiseimpfungen, Visa und Equipment informiert. Zudem überlegte ich mir eine grobe Route und buchte dann einfach einen Flug. Zehn Tage vor meiner Ankunft suchte ich mir über die App warmshowers.org einen ersten Gastgeber in Bogotá, bei dem ich mich zunächst eine Woche akklimatisieren konnte. Die Zeit nutzte ich, um die ersten sieben Tagesetappen zu planen. Unterkünfte buchte ich nie im Vorfeld, sondern suchte mir immer direkt vor Ort entweder ein Hotel oder einen Campingspot. Nach der ersten Woche realisierte ich, dass man gar nicht so viel planen muss. Da es in Kolumbien kein riesiges Landstraßennetz wie in Deutschland gibt, war ich meistens auf den Hauptstraßen unterwegs und so konnte ich mich kaum verfahren. Ich hatte Wochen- und Monatsziele und – alle drei bis vier Wochen – geplante Ruhewochen. Diese Ziele waren für mich mental wichtig und super für die Motivation.
Wo hast Du übernachtet?
Am Anfang nur bei Gastgebern, die ich mir über die App organisiert hatte, oder in Hotels. Später nur noch im Zelt. Am schönsten waren die Übernachtungen bei Familien, die ich unterwegs kennengelernt habe. Großartig war es auch, im Zelt in Nationalparks zu schlafen. Total unabhängig von der touristischen Infrastruktur zu sein und so Teil der „echten“ Gesellschaft zu werden, war die schönste Erfahrung überhaupt. Außerdem gab es hin und wieder sogenannte Casas del Ciclistas, hier werden ausschließlich Bikepacker empfangen. Dort habe ich inspirierende Menschen aus aller Welt kennengelernt und konnte mich immer wieder ein paar Tage ausruhen.
Meine wichtigsten Gepäckstücke
- Einmannzelt
- Isomatte
- Schlafsack (später habe ich mir einen zweiten dazu gekauft)
- Werk- und Flickzeug, eine Pumpe
- zwei Radsets, Regenjacke und eine warme Jacke
- Arm- und Beinlinge
- einen Satz Freizeitkleidung
- ein Mikrofaserhandtuch
- Helm und Sportbrille
- ein Paar Schuhe und Flipflops
- ein Badeanzug und ein Sport-Bra
- eine Kompaktkamera
- Reisepass, Impfausweis, Handy und Kreditkarte
- Hygieneartikel wie Deo und Zahnpasta und
- zum Kochen: einen kleinen Gaskocher, etwas Geschirr und Besteck und ein gutes Messer
Hattest Du nie Angst, dass irgendetwas schiefgehen könnte?
Reifen flicken oder andere technische Defekte kamen unterwegs natürlich vor, aber es waren nie unlösbare Probleme. Angst davor zu haben, ist unnötig. Wenn es passiert, dann passiert es, dann muss man handeln. Wenn ich vor einer neuen Situation stehe, dann lerne ich. Angst hilft einem nicht weiter. Natürlich sollte man nicht leichtsinnig sein, aber wer mutig ist, der erlebt viel. Angst davor, mich zu verfahren, hatte ich nicht, da ich nur tagsüber fuhr und wenn ich mir unsicher war, habe ich Locals um Rat gefragt. Außerdem gab es fast überall sehr gutes mobiles Internet.
Was war das schönste Erlebnis auf Deiner Tour?
Nackt durch die Salzwüste zu fahren. Und die vielen Begegnungen mit gastfreundlichen, offenen Menschen hat mein Selbstvertrauen und das Vertrauen in die Menschheit gesteigert. Ich blicke zufrieden auf die Zeit zurück, da ich mir meinen Traum vom Reisen mit dem Rad in Südamerika erfüllen durfte und ganz viel Kraft daraus schöpfen kann.
Auf welche Erfahrung hättest Du gerne verzichtet?
Auf den Kontakt mit E.-coli-Bakterien und damit verbunden auf eine Woche lang Magenkrämpfe. Ansonsten waren alle Erfahrungen wichtige Bestandteile meiner Reise.
„Ich hatte eigentlich nie Angst, dass etwas nicht klappen könnte. Ich habe immer gedacht: Wenn etwas schiefgeht, fliege ich eben wieder nach Deutschland.“
Was empfiehlst Du Mädels, die etwas Ähnliches planen?
Die größte Erkenntnis ist, dass Du Deine Träume leben musst. Das klingt total kitschig, ich weiß. Mich haben im Vorfeld viele Leute nicht verstanden. Manche wollten mir meine Idee sogar ausreden. Ich hatte keine durchgeplante Route, aber dafür viel Zeit. Das war vielleicht sogar das Beste an der Reise: Ich war frei und konnte spontan entscheiden, wohin ich fahre oder wo ich bleibe. Es geht nicht darum, möglichst viele Kilometer zu fahren, Rekorde aufzustellen oder körperlich immer ans Limit zu gehen. Es geht darum, unvergessliche Erfahrungen zu sammeln und sich zu trauen, das zu machen, wovon man träumt.
Was macht COVID-19 gerade mit Dir?
Ich lese viel und sammele Ideen für meinen nächsten Trip. Vielleicht entdecke ich im Sommer einfach Deutschland mit dem Fahrrad. Eine andere Idee ist, über die Alpen nach Italien zu fahren, nach Griechenland überzusetzen und von dort wieder in Richtung Heimat zu radeln, wenn reisen wieder möglich sein sollte.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin viele tolle Erlebnisse „all over the world“.
Weitere Informationen über Wiebke:
Facebook: Wiebke Lüh
Instagram @wiebkelueh
Blog packandtri.de
Interview: Meike Maurer