Rabea Vögtle berichtet über ihren virtuellen Swissman 2021.
Der Swissman 2021 fand aufgrund der allgemeinen Corona-Situation virtuell statt. In einem Zeitraum von drei Wochen hatten die Teilnehmenden des diesjährigen Extremtriathlons die Möglichkeit, ihr ganz eigenes Abenteuer zu bewältigen. Mit von der Partie war tritime women Botschafterin Rabea Vögtle.
Der Swissman ist eine Herausforderung, bei der du nie weißt, wie der Weg vom Start in Ascona bis ins Ziel auf der Kleinen Scheidegg verläuft. Kommt man durch? Hat man an alles gedacht? Oder gibt es Situationen, mit denen man nicht gerechnet hat? Ob man die Ziellinie erreicht, ist offen. Alles ist möglich. Aber sie ist da, fest verankert in den Gedanken. Sie ist die Motivation, der rote Faden, der einen durch den Tag trägt. An ihr hält man sich fest und sie lässt einen weitermachen, wenn die Muskeln schmerzen. Wir laden euch ein, auf eine Swissman Reise – um genau zu sein, auf Rabeas Reise.
Swissman: Fakten zum Rennen 2021
Das Besondere am diesjährigen Wettkampf: nicht nur auf der Originalstrecke, sondern in 124 Ländern weltweit konnten sich Triathletinnen und Triathleten dem Abenteuer stellen. Überall auf der Welt wurden Schwimm-, Rad- und Laufkilometer absolviert, die wohl unterschiedlicher nicht sein hätten können. Das einzige, das gleich blieb, war die zu meisternde Streckenlänge samt Höhenmetern: 3,8 km Schwimmen, 180 km Rennradfahren mit 3.770 Höhenmetern und 42 km Laufen mit 1.980 Höhenmetern.
Die virtuelle Challenge
Wer nicht die Möglichkeit hatte, die Strecken am Stück zu bewältigen, hatte zudem die Möglichkeit, sich in der virtuellen Challenge auch für die Aufteilung in jeweils drei einzelne Segmente zu entscheiden und diese nacheinander an mehreren Tagen in einem Zeitraum von drei Wochen zu absolvieren. Die Disziplinen konnten draußen oder auch indoor bewältigt werden. Wer keine Berge in der Umgebung hatte, ersetzte die fehlenden Höhenmeter durch zusätzliche Kilometer nach einer genau berechneten Vorgabe. Auch das Schwimmen wurde bei der Option Swissman Pure anders gewichtet: aus Sicherheitsgründen durfte die Schwimmstrecke am Abend vorher bewältigen oder aber das Schwimmen durch einen 10-km-Lauf am Morgen ersetzt werden.
Virtuelle Rennen – warum macht man das?
Egal, ob man gegen sich läuft oder in einem virtuellen Rennen gegeneinander auf der Rolle Rad fährt, die virtuelle Welt ist auch im Sport längst angekommen. So liegt es auf der Hand, dass die virtuellen Möglichkeiten nicht nur zum Zwecke eines abwechslungsreichen Trainings genutzt werden, sondern auch immer häufiger als „Rennen“ ausgetragen werden. Eigentlich ja gar nicht mein Ding; weder im Training und schon gar nicht als Rennen. So dachte ich zumindest. Doch diese virtuellen Challenge war irgendwie anders. Hier ging es nicht darum eine schnelle Zeit zu schwimmen, zu radeln oder zu laufen. Hier ging es um das Abenteuer und die Frage, schaffe ich das? Die längste Zeit bist du beim Swissman auf dich allein gestellt und versuchst, die Strecke mit ihren Anforderungen zu meistern. Es geht um die Bewältigung. Das Machen. Das fand ich spannend. Die Möglichkeit, einen Extreme Triathlon mal „auszuprobieren“. Irgendwie hatte diese Form der virtuellen Challenge dennoch einen, wenn auch kleinen, Wettkampfcharakter. Etwas „Verpflichtendes“. Immerhin gab es nochmals eine offizielle Anmeldung für alle bereits gemeldeten Athleten. Und so schuf die Swissman-Crew eine Möglichkeit, das Rennen nicht wie im vergangenen Jahr abzusagen.
Was sind die Herausforderungen einer virtuellen Challenge?
Eine der sicherlich größten Herausforderungen, ist die eigene Motivation. Es fehlen die direkten Mitstreiter um einen herum. Die Begegnungen mit anderen Athleten auf der Stecke, das Gemeinsame unterwegs sein, das gegenseitige Pushen. Jeder, der Rennen bestreitet, weiß, von was ich spreche. Virtuell bedeutet, du bist ganz auf dich allein gestellt, auf dein eigenes Rennen. Vor allem musst du es schaffen, dich selbst so zu motivieren, denn der Tag ist lang. Da ist niemand auf der Strecke, den du versuchst einzuholen. Der dir das Gefühl gibt, in einem Rennen zu sein.
Auch fehlt die Ziellinie. Klar kennt man den Ort. Und doch ist es etwas anderes, ob du diese Ziellinie für dich einfach so überquerst oder weißt, da ist etwas, das auf dich wartet: nämlich der Moment, es geschafft zu haben. Dieser eine, ganz spezielle Moment. Er fehlt beim virtuellen Rennen in dieser Art und Weise.
Der Streckenverlauf
Der Swissman Extreme Triathlon geht von den Brisago Inseln im Lago Maggiore über die Alpenpässe Gotthard, Furka und Grimsel durch vier Kantone an den Brienzersee. Zu Fuss geht es weiter in Richtung Interlaken, durch das Lütschinental nach Grindelwald. Hier wartet der Schlussanstieg auf die Kleine Scheidegg entlang der imposanten Eigernordwand. Knapp 1000 Höhenmeter sind am Schluss noch zu bewältigen, bis man den Zielkorridor inmitten der beeindruckenden Berg-und Gletscherwelt von Eiger, Mönch und Jungfrau entlang schreiten darf. Knapp 226 km und 5750 Höhenmeter sind dann geschafft. Eine Tagesreise.
Die Vision
Es ist die Vision, der ganz eigene Spirit, den dieser Triathlon trägt: einzigartig, exklusiv, extrem. Triathlon in seiner fast ursprünglichen Form inmitten imposanter Natur. Schnelle Zeiten stehen nicht im Vordergrund, Einzelsplits der Disziplinen sucht macht vergeblich auf den Ranglisten. Entscheidend und Würdigung der Leistung ist alleine die Uhrzeit, bei der die Ziellinie auf der Kleinen Scheidegg überquert wird. Weder Lautsprecher mit dröhnender Musik noch permanente Durchsagen und Kommentare zum Renngeschehen bilden das Rahmenprogramm. Für die richtige Stimmung sorgt die Umgebung. Das ist mehr als genug und sehr intensiv. Es ist ein leises Rennen und dennoch voller Emotionen.
Teamspirit
XtremeTriathon heisst, dass jeder Teilnehmer auf das Zusammenspiel zwischen sich und seinen Supportern angewiesen ist, ohne die eine Teilnahme gar nicht möglich wäre. Das Supportteam ist obligatorischer Bestandteil des Abenteuers. Die Herausforderung kann und soll nur im Team bewältigt werden. Verpflegungsstellen alle paar Kilometer gibt es nicht – die Verpflegung ist Aufgabe des Supports, der ihre(n) Sportler(in) begleitet. Dass die Ernährung in langen Rennen ein entscheidender Faktor ist, wissen alle, die solche langen Distanz schon einmal bewältigt haben. Sie ist das A und O. So wie die richtige Kleidung. Das Wetter in den Bergen ist manchmal unberechenbar und auf den hohen Passübergängen und den Abfahrten kann es schnell sehr kalt werden. Es ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Der letzte Streckenabschnitt von Grindelwald hoch auf die Kleine Scheidegg muss verpflichtend als Team zurückgelegt werden. Wenn auch Triathlon sonst eher etwas für Einzelkämpfer ist. Beim Swissman ist das definitiv anders. Es ist ein gemeinsames Abenteuer, man hilft sich, man motiviert sich, man unterstützt und man feiert zusammen .
Das Ziel ist in deinem Kopf
Rennen, wie auch Trainingseinheiten, verlaufen nicht immer nach Plan. Jedes Rennen hat seinen eigenen Charakter, seine eigenen Spielregeln. Alles ist möglich. Gerade bei langen Wettkämpfen. Nicht immer gelingt es, die Ziellinie zu erreichen. Die Gründe dafür sind vielfältig: es gibt äußere Umstände, die einen zwingen aufzuhören. Das Material oder der eigenen Körper. Wer schon einmal ein Rennen aufgeben oder abbrechen musste, kennt das Gefühl. Eine Mischung aus Enttäuschung, Müdigkeit, vor allem das Unvollendete. Die Ziellinie fehlt. Der Ort, bis zu dem du es schaffen möchtest. Tust du es nicht, fehlt etwas und das kann man nicht so leicht in Worte fassen.
Wenn das Ziel nicht mehr erreichbar ist
Es gibt Situationen in einem Rennen, die einen damit konfrontieren, dass du es nicht zur Ziellinie schaffen wirst. Dieser Punkt kann sehr früh, aber auch sehr spät kommen. Spielt der Magen verrückt und verweigert jegliche Nahrungsaufnahme geht unweigerlich irgendwann die Energie zu Ende. Eine Erfahrung, die ich bei meinem Swissman machen musst. Bei Kilometer 22 beim Laufen wollte mein Magen nicht mehr. Jegliche Versuche, ihn zu beruhigen scheiterten. Aus dem Laufschritt wurde ein zügiger Wanderschritt bis auch der nur noch in eine langsames Gehen war. Nun begann der Wettkampf im Kopf. Die Konfrontation mit dem Gedanken, die Ziellinie nicht zu erreichen. Der Kopf will, der ist stark, mental noch zu fit, der Körper aber spricht eine andere Sprache. Gleichzeitig begann der Wettlauf mit der Zeit. In der virtuellen Challenge noch mal mehr als unter regulären Bedingungen. Denn meine Supporter und ich wussten, der Schlussabschnitt von Grindelwald bis auf die Kleine Scheidegg hat es in sich – und keine Bahn wird einen wieder nach unten transportieren beim virtuellen Event. Kein Zielbuffet. Kein Wechselbeutel. Bei Nebel und vier Grad im Zielbereich, dazu die einbrechende Dunkelheit als zusätzliche Herausforderung. Und das ohne zusätzliche Energiezufuhr?
Und trotzdem ist da im Kopf diese Stimme, die Ziel unbedingt erreichen will, vor allem, wenn man es so weit geschafft hat. Der Kampfgeist. Aufgeben? Nein! Bei Kilometer 30 fällten wir gemeinsam als Team die Entscheidung das Vorhaben Swissman abzubrechen. Zu ungewiss war die Situation und die Bedingungen. Der innerliche Kampf mit sich selbst braucht Zeit, um das zu akzeptieren, vor allem wenn man selbst nicht mehr so klar denken kann. In solch einer Situation, ist das Supporter Team um einen herum goldwert. Diese Entscheidung gemeinsam fällen zu können, sich zu beraten, abzuwägen, die Situation einzuschätzen … das alles ist im Team einfacher, als wenn man allein mit sich ringt.
Das große Ziel, den Marathon zu beenden musste aufgeben werden. Nebel, Kälte, Dunkelheit, der 10 km lange Abstieg nach dem Ziel zurück nach Grindelwald, dazu ein leerer Körper, der jegliche Energieaufnahme verweigerte, waren zu unberechenbar.
… SETZ DIR EIN NEUES ZIEL, EINEN VERSÖHNENDEN ABSCHLUSS
Nochmal zurück zur Ziellinie. Jene Ziellinie, die du dir selbst setzt. Nachdem klar war, dass die Kleine Scheidegg nicht mehr erreichbar war, waren es zwei Dinge, die mir halfen, das zu akzeptieren. Die Aussicht auf eine Wanderung des letzten Streckenabschnitts von Grindelwald hoch bei strahlendem Sonnenschein am nächsten Tag war das eine. Das andere war das noch 5 km entferne Etappenziel Grindelwald. Ich wollte nicht „mitten auf der Strecke“ aufhören. Bis Grindelwald wollte ich es schaffen. Den Kopf besiegen und befriedigen. Aus dem Wandern wurde wieder ein leichtes Joggen. Das neue Ziel war wieder klar und war erreichbar. Der rote Faden war wieder gespannt, das Ziel wieder erkennbar. Anders als gedacht, aber es war eines.
„Nicht am Ziel wird der Mensch groß, sondern auf dem Weg dorthin“, wie Ralph W. Emerson treffend formulierte.
Die Kunst und Herausforderung beim Swissman, wie auch bei anderen langen Rennen ist sicher, es zu seinem eigenen Rennen zu machen, seine eigene Geschichte zu schreiben, für sich selbst das Erlebte und die Herausforderungen anzunehmen, damit umzugehen, mit unerwarteten Situationen, den Plan umzuschreiben, damit es am Ende das ganz persönliche Zielerlebnis sein kann. Vielleicht anders als erhofft, aber ein Ziel.
Der Rest des virtuellen Swissman ist schnell erzählt: das Schwimmen am Abend zuvor war ein kleines Abenteuer und bereits hier schon ein Wettlauf gegen die Dunkelheit. Nach heftigem Unwetter verzog sich das Gewitter doch schneller, sodass ein Sonnenuntergangsschwimmen gestartet werden konnte. Runden drehen im Lido von Locarno gegen Wind und Wellen und am Ende gegen schwindendes Tageslicht. Dankbar über die Begleitung von Meike. Das gab viel Sicherheit und war Teamspirit von Anfang an.
Das Motto des nächsten Tages – den eigentlichen „Wettkampftag“– gab mir meine Trainerin Susa mit auf den Weg: einen ganzen Tag nur Sport mache – das, was du mit am Liebsten tust. Einfach einen Tag lang Spaß haben und genießen. Das geht mit diesem Gedanken definitiv viel leicht. Nicht die lange Strecke von 224 km im Fokus haben, die einem unvorstellbar erscheint und fast erschlägt. Nein, lieber die Freude an einem sportlichen Abenteuer in der geliebten Bergwelt realisieren. Das fühlt sich definitiv besser an. Und so war die Radstrecke einfach ein purer Genuss. Drei Alpenpässe erklimmen, historische Straßenabschnitte mit Kopfsteinpflaster, enge Passagen, gewaltige Felsmassive, klassische Serpentinen, mal mehr mal weniger leicht, fantastische Aussicht auf die beeindruckende Berg- und Gletscherwelt. Die Treffen mit dem Supportteam, kurze Gespräche, Ermutigungen zwischendurch, erleichterten die Kilometer, machten die Strecke kurzweilig. Dann die Freude, endlich in den Laufschuhen zu sein und zu spüren, wie gut sich das Laufen anfühlt, wie schnell ich in einen Laufrhythmus finden konnte, obwohl die Strecke am Brienzersee entlang alles andere als flach war. Den Rest kennt ihr.
Das war der virtuelle Swissman 2021
Es war ein langer Tag.
Es war ein Supportteam, auf das ich in allen Situationen zählen konnte.
Es war ein gemeinsames Abenteuer, welches mir sehr viel bedeutet. Aus dem ich sehr viel mitnehme.
Es war Enttäuschung und Mut, in Grindelwald zu stoppen.
Es war anders als geplant, gehofft, gewünscht.
Es war ein versöhnender Abschluss am Ziel auf der Kleinen Scheidegg am nächsten Tag. Mit einem Lachen auf meinem Lieblingsberg.
Text: Rabea Vögtle
Fotos: Meike Maurer